Demonstranten wollendie Regierung stürzen

KOSOVO Breite Protestbewegung lehnt einEU-vermitteltes Abkommen mit Serbien ab

Sollte das Abkommen kippen, wäre dies eine Niederlage für die EU und die USA

VonErich Rathfelder

SARAJEVO taz | Mehr als 100.000 Menschen haben am Samstag gegen die Regierung des Kosovo demonstriert. Es war die größte Massendemonstration in der jüngsten Geschichte des 2008 von Serbien unabhängig gewordenen Landes. Die Demonstranten wollen die Regierung unter Premierminister Isa Mustafa und Außenminister Hashim Thaci zur Rücknahme eines unter EU-Vermittlung zustande gekommenen Abkommens mit Serbien zwingen. Am Rande der Veranstaltung kam es zu Gewaltakten zwischen der Polizei und Demonstranten.

Für die drei Oppositionsparteien geht es darum, das Abkommen mit Serbien zu verhindern. Für die kosovarische Opposition stellt es einen Verrat an den Interessen der kosovo-albanischen Mehrheit und den demokratischen Grundrechten dar. Den serbisch dominierten Gemeinden wird im Rahmen des Abkommens erlaubt, sich zu einem Verbund zusammenzuschließen, der mit einem Bevölkerungsanteil von sechs Prozent fast ein Fünftel des Territoriums des kleinen Landes kontrolliert und mit zahlreichen Sonderrechten ausgestattet ist. Viele Oppositionelle sehen in der Akzeptanz des serbischen Gemeindeverbunds (Zajednica) durch die Regierung einen großen politischen Fehler, weil damit eine ethnische Teilung des Landes nach dem Vorbild Bosnien und Herzegowinas ermöglicht wird und Serbien über den Gemeindeverbund große Einflussmöglichkeiten im Kosovo erhält.

Auftrieb erhielt die seit Jahren aktive Protestbewegung gegen die Verhandlungen mit Serbien – die zunächst nur von der Partei „Vetevendosje“ (Selbstbestimmung) unter dem ehemaligen Studentenführer Albin Kurti getragen wurde – durch die vor einigen Monaten erfolgte Unterstützung durch die „Allianz für die Zukunft“ (AAK) unter Ramush Haradinaj und die „Initiative für Kosovo“ (NK) unter Führung des ehemaligen Verkehrsminister Fatmir Limaj. Die Oppositionsparteien legten monatelang das Parlament in Prishtina lahm und zwangen das Verfassungsgericht zu einer Stellungnahme. Am 10. November vergangenen Jahres erklärte das Verfassungsgericht Teile des Abkommens für verfassungswidrig. Am 12. Januar will das Gericht sein endgültiges Urteil abgeben.

Viele Demonstranten aus dem linken Spektrum streben ein demokratisches, die Menschenrechte aller Bürger ach­tendes rechtsstaatlich organisiertes Kosovo an und wenden sich gegen eine ethnisch-territoriale Lösung. Sie lehnen zudem albanisch-nationalistische Positionen anderer Demonstranten ab. Auch sind sie nicht glücklich darüber, dass mit den ehemaligen Kommandeuren der Kosova-Befreiungsarmee UÇK, Haradinaj und Limaj, zwei Personen die Bewegung anführen, denen Kriegsverbrechen während des Unabhängigkeitskrieges 1998/99 zur Last gelegt wurden, jedoch sowohl vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wie auch von Gerichten im Kosovo mangels Beweisen freigesprochen wurden.

Die USA, vor allem aber die EU, streben mit dem Abkommen ein friedliches Nebeneinander zwischen Kosovo und Serbien an und wollen zugleich Serbien den Weg in die EU ebnen. Unter starkem diplomatischem Druck der EU und der USA musste die Regierung Kosovos trotz großer Bedenken dem Abkommen zustimmen und provozierte damit die jetzige breite Oppositionsbewegung. Sollte sich die Opposition durchsetzen und das Abkommen kippen, würde auch die internationale Diplomatie eine Niederlage einstecken. Deshalb hat die Demonstrationsbewegung über Kosovo hinaus eine politische Bedeutung.