„Familie ist noch Frauensache“

Serie Arbeit (4) Um Kinder und Job zu vereinbaren, brauchen Eltern vor allem das Verständnis des Arbeitgebers, sagt Thomas Härtel, Vorsitzender des Familienbeirats

Immerhin vier Monate Elternzeit nimmt der Berliner Vater im Schnitt Foto: Jochen Eckel

Interview Antje Lang-Lendorff

taz: Herr Härtel, wie fortschrittlich sind die Berlinerinnen und Berliner, was die Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit zwischen Männern und Frauen angeht?

Thomas Härtel: Die Zahlen zeigen, dass in Berlin etwas mehr Frauen als im Bundesschnitt erwerbstätig sind. Das heißt ja, dass es in Berlin bessere Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt. Die Stadt ist also durchaus auf dem Weg, familienfreundlicher zu werden. Trotzdem haben wir nach wie vor eine große Ungleichheit zwischen Männern und Frauen.

Zum Beispiel?

Etwa bei der Bezahlung. Die Berlinerinnen verdienen im Schnitt immer noch 11 Prozent weniger als die Berliner. Im Vergleich zum bundesweiten Gender Pay Gap von 22 Prozent ist das nicht so viel, aber einen Unterschied gibt es eben doch. Auch bei der Verteilung von Vollzeit- und Teilzeitstellen: Nach wie vor arbeiten deutlich mehr Frauen in Teilzeit als Männer. An genau der Stelle kommen die Bedürfnisse von Familien zum Ausdruck: Eltern brauchen Zeit, um sich um die Kinder kümmern zu können. Das tun nach wie vor mehr die Frauen als die Männer – obwohl sich in der Theorie viele Väter und Mütter gleichberechtigt der Familie widmen wollen.

Beim Elterngeld steht Berlin nicht schlecht da: Die Väter nehmen knapp vier Monate Elternzeit.

Ja, damit liegen wir im Bundesvergleich an zweiter Stelle, direkt hinter Bremen.

Wie kann man die Väter dazu bringen, sich noch stärker zu engagieren?

Es gibt Initiativen, die die Väter ermutigen, sich stärker ihren Kindern zu widmen. Sie fordern die Männer auf, im Betrieb selbstbewusst zu zeigen, dass sie für die Erziehung ihres Kindes genauso verantwortlich sind wie die Mutter. Da sind aber oft noch Welten zwischen.

Was sollten Unternehmen tun, um die Familienfreundlichkeit zu verbessern?

Dass wir in einer „Arbeitsgesellschaft“ leben, in der sich viele Mitglieder maßgeblich mit Erwerbsarbeit identifizieren und darin den Lebenssinn finden, ist ein alter Hut. Aber stimmt das noch? Was bedeutet Arbeit in einer Gesellschaft, die immer weniger Menschen braucht, um immer mehr Waren zu produzieren und neue Dienstleistungen zu erfinden? Was heißt überhaupt Arbeit, wenn Familienarbeit immer wichtiger wird? Wird Arbeit mehr geschätzt, wenn sie dank Mindestlohn besser bezahlt wird – oder weniger, weil Ehrenarbeit und Freiwilligenarbeit inzwischen die neuen Sinnstifter sind? Und wenn nun die Arbeitslosenquote in der Stadt mit rund 10 Prozent so niedrig ist wie selten: Was für Jobs sind es, die der „Job-Motor Berlin“ hervorbringt? Diesen Fragen geht die taz in einer Serie nach.

Zunächst ist das eine Frage des Bewusstseins. Viele Unternehmen müssen sich erst vergegenwärtigen, dass Familienfreundlichkeit wichtig für sie ist. Nur so gewinnen sie langfristig Fachkräfte, die dem Unternehmen erhalten bleiben. Gerade in typisch weiblichen Berufen wie beispielsweise in der Pflege gibt es bereits jetzt einen Fachkräftemangel. Insofern liegt es im ureigenen Interesse der Unternehmen, familienfreundlich zu sein. Es gibt Unternehmen, die sich Familienfreundlichkeit als Leitbild gegeben haben, die also sichtbar machen, dass sie dem einen hohen Wert beimessen. Wir haben festgestellt, dass diese Unternehmen dann auch konkrete Regelungen finden, die Eltern den Alltag erleichtern.

Was brauchen Eltern?

Vor allem Verständnis. Nicht nur in der Leitung, auch bei den Kolleginnen und Kollegen. Je nachdem, wie das Kind betreut wird, benötigen Eltern oft auch andere Arbeitszeitregelungen. Sie wollen vielleicht eine Zeit lang die Arbeitszeit reduzieren, aber später wieder aufstocken. In manchen Unternehmen klappt das vorbildlich. Manche Firmen richten Eltern-Kind-Zimmer ein, wo man ein leicht krankes Kind mitbringen kann. Ein Berliner Unternehmen bietet einen Babysitter-Notfall-Service.

Trotzdem ist das Verständnis für Eltern in vielen Betrieben noch mäßig.

Die kleinen und mittleren Unternehmen sind hier das Problem. Sie haben eher Schwierigkeiten mit Teilzeitmodellen oder reagieren auf Ausfälle weniger flexibel. Dabei gibt es auch für solche Firmen Möglichkeiten. Beispielsweise ein Netzwerk in Neukölln: Dort haben sich verschiedene kleinere und mittlere Unternehmen zusammengetan und betreiben nun eine eigene Kita.

In Berlin ist jeder dritte Haushalt mit Kindern alleinerziehend. Was ist für diese Mütter und Väter wichtig?

Die Anforderungen für Alleinerziehende sind besonders hoch. Sie sollten deshalb auch bei der Arbeitszeitgestaltung besonders unterstützt werden, etwa indem man sie bei der Schicht- und Urlaubsplanung bevorzugt.

Thomas Härtel

Foto: privat

64, ist Vorsitzender des Fami­lienbeirats, der den Senat bei Familienfragen beraten soll. Er war Staatssekretär von 1999 bis 2011, erst in der Bildungs-, dann in der Innenverwaltung.

Werden die KollegInnen da nicht sauer?

Ohne Verständnis geht es nicht. Familienfreundlichkeit meint ja nicht nur eine gute Vereinbarkeit nach der Geburt eines Kindes: Es geht genauso um Jugendliche in der Pubertät oder um die gebrechliche Mutter. Da kann es jedem passieren, dass er auf eine gute Vereinbarkeit angewiesen ist.

Der öffentliche Dienst ist einer der größten Arbeitgeber Berlins und sollte beim Thema Familienfreundlichkeit eigentlich Vorreiter sein. Ist er das auch?

Den Eindruck haben wir nicht. Auch in der Verwaltung fehlt dafür noch das Bewusstsein. Es gibt einzelne Senatsverwaltungen, die sich bemühen, das Thema zu berücksichtigen. Aber oft geht es nicht über einen Wickelraum hinaus. Wir erwarten, dass die öffentliche Hand dieses Problem stärker in den Blick nimmt und zeigt, wie man Arbeitsplätze vorbildlich gestaltet. Nicht nur für Eltern mit Kindern: Auch zu pflegende Familienangehörige sind eine Herausforderung für Berufstätige. Über 70 Prozent der Pflegefälle in Berlin werden von ihren Angehörigen versorgt.