Indische Schattenspiele

Die Ausstellung „Schaulust“ im Altonaer Museum präsentiert „Sehmaschinen“, die Werner Nekes in 30 Jahren zusammentrug

von Christian T. Schön

Rot leuchtet die Penisspitze, feurig strahlt das weibliche Geschlecht. Der Raum liegt in sakraler, schwach erleuchteter Dunkelheit. Ungelenke Bewegungen, die Mimik gefroren: grinsend, böse, dämonisch. Die Figuren leuchten wie Götter, eine öffnet die Arme wie zum Segen. Soll man niederknien und beten?

Frech wird der Besucher im Altonaer Museum begrüßt. Schaulust heißt die aktuelle Ausstellung und lädt zum begeisterten Hinsehen ein: Sehmaschinen, optische Theater und andere Spektakel heißt der Untertitel einer Schau, die die Sammlung Werner Nekes‘ präsentiert. Bilder und Geräte aus über fünf Jahrhunderten, die dem Menschen Aufklärung über den eigenen, vom Sehen gesteuerten Geist lieferten. Oder ihn in fernsehloser Zeit unterhielten. Ein Beispiel hierfür die Gestalten im ersten Raum, Schattenfiguren aus Indien und Griechenland. Vor 200 Jahren wurde mit ihnen vor erleuchteten Leinwänden Schattentheater gespielt – und scheinbar auch Sex in Szene gesetzt.

Alle Exponate stammen aus der Sammlung des Filmregisseurs Werner Nekes, der seit seinem zehnten Lebensjahr von bewegten Bildern fasziniert ist. Mit 21 drehte er seinen ersten Dokumentarfilm, später Experimentalfilme. 1969, als er eine Professur in Hamburg antrat, begann er, sich mit der Theorie des Films und der Filmgeschichte auseinander zu setzen und Objekte zu diesem Thema zu sammeln. „Ich habe mich vor allem gefragt: Welche optischen Mittel gab es früher, und wie haben sie zu unserem heutigen technischen Wissen über das Sehen beigetragen?“

Viele optische Täuschungen, Rätselbilder und Spielzeuge befinden sich in der Sammlung, aber auch beeindruckende Objekte mit so sprechenden Namen wie „Mutoskop“, „Scopitone-Filmbox“ oder „Radiocinéphone“. Gerätschaften aus der frühen Fernsehgeschichte. Werner Nekes selbst wirkt nicht wie einer, der zu Hause mit altertümlichen Spielzeugen rumspielt. Der 61-Jährige spricht leise und führt sachlich die Zusammenhänge zwischen Thaumatrop-, Anorthoskop- und Phenakistiskop-Scheiben aus. Gern erklärt er es dem Unwissenden noch einmal. Zum Mitschreiben, Buchstabe für Buchstabe.

Anfangs habe er, sagt er dann, in Antiquariaten und auf Auktionen gesucht. Heute rufen Händler aus Paris und London bei Nekes an, wenn sie etwas für ihn haben. Einige Raritäten hat er auf diese Weise zusammengetragen, von denen zum Teil weltweit nur zwei oder drei Exemplare bekannt sind. Einige davon sind in Altona das erste Mal zu sehen.

Umfang und Vielfalt der Sammlung Werner Nekes‘ sind einmalig: „Beim Sammeln reizen mich Sachen, die ich nicht kenne, die ich aber in den Kontext der Entwicklung der bewegten Bilder einordnen kann.“ Das Ergebnis nimmt in der Ausstellung im Altonaer Museum ein ganzes Stockwerk ein und liefert einen tief gehenden Blick in die optische Mediengeschichte und der frühen Unterhaltung, als etwa Kinder mit der Laterna Magica das Gruseln gelehrt wurde.

Historische Illustrationen belegen zudem, dass die „Neuen Medien“ bereits vor 250 Jahren bei Alt und Jung, Arm und Reich sehr beliebt waren. Damals wurden sie noch „Guckkasten“, „Chinesisches Feuerwerk“ oder „Perspektivtheater“ genannt. Nur zu verständlich, kribbelt es einen doch heute noch beim Anblick der gezeigten Daumenkinos in den Fingern, es selbst mal zu probieren.

Spannende Sammlergeschichten allerdings interessieren Werner Nekes wenig. Nur zögernd nennt er ein paar Tricks und Summen, mit denen er an Exponate gekommen ist, die außer ihm niemand besitzt – um dann schnell zu einem anderen Thema zu wechseln. „Das ist meine Visitenkarte“, sagt er und legt ein kleines Kärtchen auf den Tisch. Vorn und hinten mit einem kryptischen Netz aus dünnen Strichen und dicken Balken. Er genießt das Rätseln und Staunen. Langsam, mit Auge-Zukneifen und ein wenig Hin-und-Her-Drehen, erscheint die Anschrift. „Eine Längen-Anamorphose“, schmunzelt Werner Nekes.

Di–So 11–18, Do bis 22 Uhr, Altonaer Museum; bis 1.4.2006. Für Januar und Februar kommenden Jahres ist ein Film-Begleitprogramm in „Metropolis“, „Abaton“, „Zeise“ und „3001“ geplant