Die Leiche lebt

„Criminal Tango“: Behinderte und Nicht-Behinderte tanzen sich durch 70 absurde Minuten

Ein Mord geschieht! Mitten im Theater-Foyer, zwischen dem wartenden Publikum. Jeder ist verdächtig, jeder muss sich den Fragen des kleinwüchsigen Kommissars stellen: „Was haben sie gesehen? Kennen sie den Toten?“ Prüfend schaut er. Schon drängt er das (ziemlich zahlreiche) Publikum in den Theatersaal – zur Vernehmung. Da taucht plötzlich eine geheimnisvolle Frau in Rot auf: Sie verführt den Kommissar zum Tango. Auch die Leiche erscheint und erklärt, sie sei nicht tot. Das Urteil der gehörlosen Richterin: Tango für alle und zwar sofort – inklusive des Publikums.

„Criminal Tango“ nennt sich das rätselhaft-komische Stück, das jetzt in der ausverkauften Schwankhalle Premiere feierte. Es ist die zweite Produktion des „steptext dance project“ mit behinderten und nichtbehinderten Darstellern unter der Leitung von Günther Grollitsch und Corinna Mindt. Drei Monate lang haben die Künstler das Stück entwickelt, die Choreografie erarbeitet, täglich stundenlang trainiert. Die Darsteller waren schnell gefunden: Schon vor einem Jahr produzierten Grollitsch und Mindt mit den behinderten Darstellern Frank Fahrenholz, Doris Geist, Frank Grabski und Sabine Spehlbrink das Stück „Mit dem Rollstuhl auf den Mond“. Der Erfolg war so groß, dass der Wunsch entstand, dauerhaft integratives Tanztheater anzubieten – das vom Publikum mit Begeisterung angenommen wird.

Dies könnte vor allem an der Authentizität und dem Charme der Darsteller liegen. Frank Grabski, der schon im Kinofilm „Verrückt nach Paris“ spielte, beeindruckte in „Criminal Tango“ mit perfekter Körperbeherrschung: Grabski, der nur ein Bein und keine Arme hat, zeigte, dass man zum Tangotanzen vor allem Leidenschaft, aber nicht unbedingt Gliedmaßen haben muss. Man braucht auch kein Gehör – die taubstumme Doris Geist tanzte sich gleich durch zwei Rollen: Tavernenbesitzerin Dodo und Richterin.

Seinen Humor nutzte der geistig behinderte Frank Fahrenholz, um den tollpatschigen Gangster zu geben. Sabine Spehlbring dagegen fiel vor allem mit Selbstironie auf – und lachte auch mal an Stellen, an denen das Drehbuch dies nicht unbedingt vorsah. Integratives Theater heißt, Grenzen zu überschreiten und neue Ausdrucksformen zu finden: Da tanzt der kleinwüchsige Kommissar (Manni Laudenbach) mit der um einen Meter größeren geheimnisvollen Frau in Rot (Corinna Mindt). Tango zwischen Zwerg und Sexbombe – der überraschend anmutig aussieht. Da windet sich Grabski nur in Shorts bekleidet am Boden und zeigt offen seine Körperbehinderung. An Stelle des Armes nur ein Knorpel, an Stelle des Oberschenkels nur ein Füßlein. Schon springt er auf und schreit, fällt wieder zu Boden und murmelt. Die Versehrtheit wird Teil des künstlerischen Ausdrucks.

Tina Groll