Deutschkurs für einen Kaufhausdieb

Alexander Faust sitzt seit anderthalb Jahren in einem Schülergericht in Aschaffenburg. Mit zwei anderen denkt sich der 18-Jährige Sanktionen für Straftäter aus. Dabei geht es ihm nicht um das Strafen, sondern um den erzieherischen Effekt

taz: Welche Delikte haben die Jugendlichen begangen, die im Schülergremium vor Ihnen sitzen?

Alexander Faust: Häufig haben sie geklaut, sind ohne Fahrerlaubnis gefahren, haben Unterschriften gefälscht. Auch Schwarzfahren und Besitz von Betäubungsmitteln kommen vor. Wir sprechen allerdings nur mit Tätern, die eine Straftat zum ersten Mal begangen haben und freiwillig gekommen sind. Sie werden vorher von der Polizei gefragt, ob sie sich einem Gremiumsgespräch stellen wollen oder lieber dem Staatsanwalt mit der üblichen kurzen 10-Minuten-Verhandlung.

Wer ist bei so einem Gespräch dabei?

Es sind immer drei Schüler des Gremiums und der Täter oder die Täterin. Wir sitzen auf Korbstühlen um einen runden Tisch. Im Hintergrund hört eine Sozialpädagogin zu.

Was passiert dann?

Wir versuchen, die Hintergründe der Tat zu erfragen. Zum Beispiel wollen wir wissen, was sich die Person dabei gedacht hat. Ob es eine Mutprobe war oder aus Geldnot geschehen ist. Ob es schon eine Strafe von den Eltern gab. Wie die Polizei mit ihm umgegangen ist. Dann überlegen wir uns eine Strafe.

Wie kann die aussehen?

Das kann ein Aufsatz sein. Oder eine Internetrecherche. Arbeitsstunden bringen oft nichts. Das gilt unter Jugendlichen eher als cool. Andere Strafen sind oft wirksamer. Einmal haben wir zum Beispiel jemandem, der geklaut hatte, für vier Wochen seinen Rechner entzogen. Er ist ein totaler Computerfreak, saß täglich fünf Stunden vor der Kiste. Seine Mutter war danach froh, dass ihr Sohn dadurch mal an die frische Luft gekommen ist.

Das heißt, die Strafe soll dem Jugendlichen helfen?

Ja. Deshalb bezeichnen wir es auch eher als erzieherische Maßnahme. Einem Jungen, der Selbstbräuner geklaut hatte, haben wir einen Deutschkurs empfohlen. Weil sich nämlich herausgestellt hatte, dass er gar nicht lesen konnte, was er da in dem Kaufhaus mitgehen ließ.

Hatten Sie schon mal Mitleid?

Ja, mit einem Mädchen. Sie hatte, glaub ich, eine Duftkerze als Geburtstagsgeschenk für ihren Freund geklaut. Sie hatte zuvor ihre Geldbörse im Bus verloren. Wir haben sie dann einen Aufsatz darüber schreiben lassen, wie man Menschen eine Freude machen kann, die nichts kostet.

Wie viel Zeit verbringen Sie mit den Schülergremien?

In der Woche behandeln wir im Durchschnitt zwei Fälle, zwischen 30 und 90 Minuten dauert das pro Fall. Der längste, den wir hatten, dauerte zweieinhalb Stunden. Da ging es um einen Verstoß gegen das Waffengesetz. Drei Jugendliche hatten unter einer Brücke mit einer Softairwaffe gespielt. Die ist mit vier Millimeter großen Hartplastikbällen geladen. Zuerst mussten wir klären, wem die Waffe gehört. Am Anfang hat jeder etwas anderes erzählt. Nach und nach klärte sich die Sache.

Was bekommen Sie für Ihre Arbeit?

Wir arbeiten alle ehrenamtlich. Man gewinnt Menschenkenntnis und lernt, dass man Leute nicht nach ihrem Aussehen beurteilen darf. Vom Gymnasiasten bis zum Hauptschüler ist bei den Tätern nämlich alles vertreten.

Sie machen das seit eineinhalb Jahren. Wie lange noch?

Wenn ich mit der Schule fertig bin, ist Schluss. Dann wird der Altersunterschied zu den jugendlichen Tätern zu groß. Sinn der Sache ist ja gerade, dass sich Gleichaltrige gegenübersitzen.

Interview: Friederike Meyer