Schüler richten über Schüler

In der bayrischen Provinz funktionieren so genannte Schülergerichte gut. Wenn es nach der FDP ginge, würde das Erfolgskonzept nun auch bald in Berlin getestet. Vorerst im Modellversuch

VON FRIEDERIKE MEYER

Erwischt. Der Kaufhausdetektiv tippt dem 16-Jährigen von hinten auf die Schulter. Der Schüler wollte gerade eine CD mitgehen lassen. Doch statt einer Vorladung zum Staatsanwalt erhält der Täter eine Einladung zu einem Schülergremium. Er soll Gelegenheit bekommen, über seine Tat zu sprechen. Vor Gleichaltrigen.

Er nimmt die Einladung an und sitzt wenig später mit drei Jugendlichen am Tisch. Sie hören sich seine Geschichte an, stellen Fragen. Danach treffen Gremium und Täter gemeinsam eine Vereinbarung, wie die Sache wieder gutzumachen sei. Oder welche Sanktionen auferlegt werden. Es könnte zum Beispiel sein, dass das Gremium für einen Monat seine Musikanlage einzieht.

Was wie die Beschreibung einer Filmszene klingt, könnte in Berlin bald Praxis werden. Denn die FDP möchte in der Hauptstadt tatsächlich eine Art Schülergericht einführen – zunächst als Modellversuch. Für ihren Antrag, der heute im Abgeordnetenhaus behandelt wird, hat sich die Fraktion an Vorbildern in Bayern orientiert. In Aschaffenburg, Ansbach, Ingolstadt und Memmingen arbeiten so genannte Schülergremien in Anlehnung an US-amerikanische „Teen Courts“.

Gremien aus jeweils drei Schülern zwischen 14 und 18 Jahren befassen sich dort im Auftrag der Staatsanwaltschaft mit Straftaten von Jugendlichen. Sie sprechen mit den Tätern über das Geschehene, vereinbaren anschließend eine Auflage und überwachen mitunter auch deren Erfüllung. Die jugendlichen „Richter“ werden dabei von Sozialpädagogen betreut. Und für die Arbeit meist von ihren Lehrern für das Gremium vorgeschlagen. Sie kommen aus verschiedenen Schulen, haben gute Noten und haben selbst noch keine Straftat begangen.

In Aschaffenburg gibt es ein Schülergremium bereits seit fünf Jahren. Seitdem wurden dort fast 200 Fälle behandelt. Heinz Schöch, Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat die Fälle in einer Studie ausgewertet. Das Ergebnis ist positiv. „Gleichaltrige haben größeren Einfluss auf Gleichaltrige. Die Akzeptanz bei den Tätern ist höher und die Einsicht, dass sie etwas Verbotenes getan haben“, sagt Schöch. Bei weniger als 1 Prozent seien die Sanktionsauflagen des Schülergremiums nicht erfüllt worden. In zwei Jahren, so Schöch, könne man genaue Angaben zur Rückfallquote der Täter machen.

„Die soziale Kontrolle in der Provinz ist ein Erfolgsschlüssel für die Schülergremien in Bayern“, sagt Christoph Meyer, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, der den Antrag für Berlin verfasst hat.

Natürlich seien die Problemfälle in einer Großstadt wie Berlin anders gelagert als in einer bayrischen Kleinstadt. Man müsse zum Beispiel aufpassen, dass keine Schüler aus Zehlendorf über Probleme in Kreuzberg urteilen.

Meyer geht davon aus, dass der Antrag noch im November in die Ausschüsse kommt. „Ein Modellprojekt für Schülergerichte könnte Mitte 2006 anlaufen,“ hofft Meyer.

Unmöglich ist dies nicht. Denn die anderen Parteien und die Justizverwaltung zeigen sich dem FDP-Antrag gegenüber aufgeschlossen. „Das ist eine Idee, die man ausprobieren sollte“, sagt Uwe Goetze, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion. „Die Justizverwaltung hält die Schülergremien für eine sehr gute Idee. Wir prüfen, wie man das in Berlin machen kann“, sagt deren Sprecherin Juliane Baer-Henney. Margrit Barth, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linkspartei, sagt: „Wir werden uns das in Bayern genau ansehen.“