Die Initiative „Kreuzberg hilft“ sammelt, sortiert und vermittelt Spenden für geflüchtete Menschen. Juliane Pieper ist ehrenamtlich dabei. Die Illustratorin und Grafikerin hat einen Arbeitseinsatz auf ihre ganz eigene Weise in Bild und Wort dargestellt
: Heute sind Luftballons gewünscht

Juliane Pieper & „Kreuzberg hilft“

40, ausgebildete Grafikdesignerin und Illustratorin, hat an der Kunsthochschule Weißensee in Kommunikationsdesign graduiert, danach Master of Arts in Illustration am Fashion Institute of Technology in New York. Arbeitet als freiberufliche Illustratorin, Künstlerin und Autorin für verschiedene Zeitschriften, Magazine, Zeitungen (auch die taz) und Verlage. Seit Anfang September ehrenamtlich engagiert bei "Kreuzberg hilft". Informationen über die Initiative, Mitgestaltungsmöglichkeiten und Bankverbindungen für Geldspenden unter kreuzberg-hilft.com.

Ein Kinderfahrrad und ein Bobbycar – da werden sich ein paar Kinder freuen. Und erst ihre Eltern! Die Familien sitzen den ganzen Tag in riesigen Hallen herum. Etwas zu tun zu haben, mal zu lachen, zu spielen, ist keine Selbstverständlichkeit. Dann ärgert es mich fast, wenn ich Putzschwämme für die Kantine einer Unterkunft packe, statt Fußbälle oder Schulsachen. Und es bedeutet, dass Menschen Lappen statt Spielzeug spenden, weil die Behörden es nicht hinbekommen, die Unterkünfte mit dem Nötigsten auszustatten. Ein andermal packe ich eine Tasche mit Spielen – Schach, Dame, Mensch ärgere dich nicht. Diese Fuhre ist diesmal nicht für die Kinder, sondern für Erwachsene gedacht. Heute werden in der Unterkunft Wilmersdorf Luftballons gewünscht, damit ein Kind Geburtstag feiern kann.

Ein Helfer geht mit den freiwilligen Fahrern die Routen zu den Unterkünften durch. Ein Stadtplan hilft bei der Planung, wer und in welcher Reihenfolge dorthin fährt. Die Kaserne in Knobelsdorf, die Messehalle, die Unterkünfte in der Storkower Straße, am Olympiastadion, in der Wrangelstraße oder die im Rathaus Wilmersdorf – sie sind über die ganze Stadt verteilt.

An der Pinnwand hängen immer mehrere Bedarfslisten aus den Unterkünfte, täglich aktuell. Sobald sie aushängen, übernehmen die Helfer das Sortieren und Packen und beeilen sich. Die Unterkünfte sollen die gut sortierten Spenden schnell erhalten, gerade wenn diese wieder 100 neue Bewohner erwarten – manche Flüchtlinge haben nicht einmal mehr Schuhe.

Taschen werden gepackt, ein Klebestreifen mit dem Namen der Unterkunft und dem Inhalt deutlich darauf geschrieben – nichts soll verwechselt werden. Bald stapeln sich überall Tüten und Taschen. Auch die Helfer tragen einen Klebestreifen mit ihrem Namen, immer wieder neue Gesichter, erneutes Einweisen in die Aufgaben … Ich packe tütenweise Hygieneartikel. Meine Hände riechen nach Moschus, ein Duschbad ist ausgelaufen. Natürlich finde ich es nicht in der Kiste mit Hunderten Plastikfläschchen.

Suse kniet über den Bedarfslisten aus den Notunterkünften für Flüchtlinge in ganz Berlin. Es sind immer wieder dieselben Posten: Männerkleidung, Größe S und M, Kinderkleidung, Shampoo, Deo, Gesichtscreme, Kämme … Dazu kommen immer wieder Nacht­schichten für das Einrichten neuer Unterkünfte in Kreuzberg, mit Bettenaufbau und Erstversorgung der Unterkünfte. „Ja es gibt reichlich zu tun“, sagt Suse und macht immer weiter. Andere haben sich zeitweise zurückgezogen. Es war zu viel. Manche mussten mal wieder durchatmen. Oder einfach mal wieder schlafen.

Seit September letzten Jahres kniet Suse hier und sortiert – also von Anfang an. Zu Beginn 25 Stunden pro Woche, mittlerweile sind es 35 Stunden. Vor allem Klamotten: hochgeschlossene, langärmelige Oberteile für Frauen kommen ins Regal; die vielen bunten Sommerröcke, Kleidchen, Spaghettiträger-Tops werden aussortiert – die Ansage von den Kleiderkammer-Organisatoren lautet: Nur Kleidung bringen, die Musliminnen tragen. Dass auch Frauen flüchten, die gern ein ganz normales T-Shirt anziehen würden – zu kompliziert, wenn Tausende von Menschen in Kürze der Zeit ausgestattet werden müssen.

Manchmal werden gutwillige Menschen mit ihren Sachspenden abgewiesen. Da das Sortieren so viel Zeit kostet und die Lagerkapazitäten eigentlich immer zu klein sind, ist Effizienz wichtig. „Falsche“ Spenden verwirren vor allem gelegentliche Helfer: „Brauchen wir Osterschmuck?“ Nein! Auch nicht benutzte Lippenstifte oder getragene Wäsche. Babysachen werden mal gesucht, dann wieder nicht. Was gebraucht wird, steht auf den Listen im Internet. Aber viele meinen es gut, manchmal zu gut. Die Enttäuschung, wenn sie mit ihren vollen Tüten wieder gehen müssen, ist dann groß.

Bis Anfang November letzten Jahres standen die Autos irgendwo auf der verstopften Dieffenbachstraße, manchmal zugeparkt oder eingequetscht von Lieferanten der umliegenden Läden. Hupen, diskutieren. Beim neuen Spendenraum in der Mariannenstraße können sich die Fahrer in die Ausfahrt stellen. Was für ein Luxus! Die Annehmlichkeit eines Lieferwagens gibt es nicht immer, auch Kleinwagen werden mit Taschen, Kinderwagen oder Kartons voller Bananen gepackt, bis nichts mehr geht. Fahrer mit eigenem Auto werden immer gebraucht. Sie bekommen das Geld für Benzin erstattet.

Vor manchen Unterkünften müssen wir uns immer wieder erklären. In der Regel kontrolliert Sicherheitspersonal, niemand kann einfach in die Unterkünfte hineingehen. Oft wird aus dem „Nein!“ erst ein „Ja“, wenn wir erzählen, dass wir die Bedarfsliste abgearbeitet und alle Spenden vorsortiert und beschriftet haben. „Großartig!”, heißt es dann. Und manchmal wird schon sehnsüchtig auf uns gewartet.

In der Notunterkunft Messehalle zum Beispiel: Warten. Anstehen. Nichtstun. Ein kleiner Junge, etwa drei Jahre alt, tapst verloren durch die riesige Halle. Familien warten vor Ausgabestellen. Ein junges Paar lacht mit der Helferin von der Kleiderkammer. Der kleine Sohn kommt auf mich zu gerannt und ruft „Foto! Foto!“ Ich mache von uns beiden ein Selfie, lege meinen Arm um seine Schultern, er schaut ganz ernst.

Die Leute von der Kleiderkammer sind froh, wenn wir vorbeikommen. Dadurch, dass die Spenden vorsortiert sind, nimmt „Kreuzberg hilft“ ihnen viel Arbeit ab. Eine runde Dame kommt freudig auf mich zu, als sie mich mit den Spenden warten sieht: „Wie gäht’s?“ ruft sie mir zu. „Gut!“ sage ich, „wie geht es Ihnen?“ – „Es gäht mir sehr gut! Danke! Vielen Dank!“ Sie freut sich sehr, ihre neuen Deutschkenntnisse anzuwenden. Ich werde wohl ihr einziger „Besuch“ heute bleiben.