der rote faden
: Filterblasenrealitäten und die Flucht ins Virtuelle

nächste wocheRieke Havertz Foto: Helena Wimmer

durch die woche mit

Meike Laaff

Köln

Gerade mal die erste komplette Woche im neuen Jahr geschafft, und schon fliegt wieder alles aus den Fugen. Und nein, damit meine ich nicht allein, dass angesichts der Massenstraftaten in Köln jetzt praktisch jeder meint, endlich eine Begründung für all das gefunden zu haben, was er ohnehin über Migranten/ Flüchtlinge / Muslime / Gewalt gegen Frauen / organisierte Kriminalität / Polizeiversagen / Justizversagen / Medienversagen denkt. Und sich – mangels belastbarer Fakten und gern auch völlig unabhängig von diesen – viele ihren ganz eigenen Film über die Vorfällen rund um den Hauptbahnhof stricken. Filterblasenrealitäten deluxe. Gründlich durchfragmentierte Öffentlichkeiten, vor denen schon Habermas einst als Gefahr für die Demokratie warnte.

Weit weniger beachtet kam die Meldung, dass es Hackern erstmals gelungen sein soll, einen Stromausfall zu erzeugen. Oder akkurater: Schadsoftware in ukrainischen Kraftwerken so zu platzieren, dass 700.000 Menschen im Südwesten des Landes an Weihnachten plötzlich ohne Strom dastanden. Angeblich verursacht durch einen aufgepimpten Trojaner, der schon länger kursiert. Angeblich – so mutmaßen IT-Sicherheitsanalysten – eingeschleust über präparierte Word-Dokumente in Mail-Anhängen.

Cyberwar

Vor allem in den USA wurde dies – weil Cyberwar und so – umgehend Russland in die Schuhe geschoben. Auch wenn anderen Beobachter dieser Rückschluss etwas zu fix war, erinnert der Vorfall doch an den Stuxnet-Wurm, der vor einigen Jahren iranische Atomkraftwerke sabotierte. Was eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdienen würde als Hacks irgendwelcher Seitensprung-Portale. Und – je mehr an der Geschichte dran ist – einmal mehr demonstriert, wie fragil unsere Welt aus IT-gestützter Infrastruktur eben ist.

Technikgestützt lässt sich jedoch auch viel simpler auf den Putz hauen. Und sei es nur aus Versehen. Russland einfach mal mit „Mordor“ übersetzen, also dem Herz der Finsternis aus „Herr der Ringe“; Russen als „Besatzer“ – das passierte Googles Übersetzungsdienst „translate“ in der ukrainisch-russischen Variante. Woraufhin Google sich entschuldigte, das Problem behob, aber darauf hinwies, das sei rein automatisch passiert: Der selbst lernende Übersetzungsalgorithmus untersuche selbstständig Millionen von Texten auf der Suche nach einer treffenden Übersetzung. So könne es zu „Fehlern und falschen Übersetzungen kommen“, schrieb Google. Heißt: Wenn nach der Annektion der Krim in der Ukraine eben häufig derartige abfällige Begriffe für Russland und Russen verwendet wurden, passiere das halt. Ein Technik-Glitch. Sorry, durchgerutscht.

Übersetzungsalgorithmus

Nicht Google-Mitarbeiter, nee, auch nicht Nutzer, die das bewusst händisch eingepflegt hätten, der Algorithmus ist schuld. Diesem Argumenta­tions­muster werden wir immer häufiger begegnen, in einer Zeit, in der Algorithmen und ihre Entscheidungen längst tief in unseren Alltag eingesickert sind, uns umspinnen und von außen oft schwer nachvollziehbar sind. Das aber nicht verschleiern sollte: Algorithmen sind keine sinistren Geheimwissenschaften. Sondern – allem Maschinenlernen zum Trotz – von Menschen programmiert.

Datenbrille

Wem das alles zu undurchsichtig war, der regte sich die Woche einfach darüber auf, dass Twitter nun offenbar seine 140-Zeichen-Regel kippen will. Bis zu 10.000 Zeichen soll ein Tweet lang werden dürfen, berichten US-amerikanische Medien. Das bedeutet: Dieser Text hier würde locker reinpassen. Womit Twitter nicht nur seinen 140-Zeichen-Markenkern schrotten würde, sondern auch, dass der Dienst, ähnlich wie Facebook, versucht, Nutzer zu motivieren, Inhalte zunehmend bei Twitter zu posten, statt sie selbst zu verwalten und einfach darauf zu verlinken.

Ein weiteres Schrittchen hin zum zentralisierten Internet also. Zu ökonomisch fein abgegrenzten Gärtchen, die das Nutzervolk bitte mit Inhalten bespielen möge.

Oder man ärgerte sich halt über Geld. Laaange warteten Gamer auf die Datenbrille Oculus Rift, um virtuelle Realitäten endlich holodeck- und matrixartig erfahrbar zu machen. Seit Mitte der Woche, pünktlich zum US-Techkonsumrummel CES, ist das Ding nun auf dem Markt. Für 699 Euro plus Versand. Was Leuten, die damit ihre Soldaten, Mediziner und Sportler trainieren wollen, wohl nicht zu teuer sein wird. Dem kleinen Gamer von nebenan offenbar schon. So zumindest lasen sich viele Reaktionen in sozialen Netzwerken. Viele davon: gesendet vom iPhone. Dessen Kosten die Datenbrille locker in den Schatten stellen. Ganz so dringend ist es mit dem Eskapismus ins Virtuelle dann also offenbar doch nicht.