Angst in Aktion

THEATER Trotz klammer Kasse bietet das „Explosive!“-Festival für junges Theater ein breit aufgestelltes Programm mit internationaler Beteiligung. Mit Produktionen über Ängste

Reist auf der Suche nach der Angst durch Europa: das „Fear Industry Project“   Foto: Achim Wieland/Explosive! Festival

von Jan-Paul Koopmann

Als die Mordanschläge von Paris die Terror-Angst schürten, da stand das diesjährige Thema des Bremer Theaterfestivals „Explosive!“ längst fest: Angst. Die plötzliche Aktualität aber möchte sich Festivalleiter Tobias Pflug nicht auf die Fahnen ­schreiben. Sie sei höchstens ein weiterer Grund, sich dem Thema sensibel zu nähern, sagt er, „statt auf die Pauke zu hauen“.

Die diesjährige 15. Ausgabe des Festivals für junges Theater ist die dritte unter Pflugs Leitung. Und mit der wird alles anders. Statt wie bisher internationale Produktionen zur Inspiration der hiesigen Szene nach Bremen zu holen, gilt jetzt: „Produzieren statt nur präsentieren“, sagt Pflug. Die Explosive!-MacherInnen haben Residenzen ausgeschrieben, um hier vor Ort gemeinsam mit den GastperformerInnen zu arbeiten. Aus ihren verschiedenen Perspektive wollen sie herausfinden, was Angst ist und was sie für Gesellschaft und Kultur bedeutet.

Dass diesmal so viele Bremer Akteure dabei sind, hat allerdings nicht nur konzeptionelle Gründe: Das Festival-Budet schrumpft seit Jahren rapide. Zu Pflugs Antritt standen noch rund 60.000 Euro zur Verfügung, heute sind es fast 20.000 weniger. Das läge nicht nur am geringeren Zuschuss der Stadt, sagt Plug. Auch auf die Stiftungen gebe es mittlerweile „einen richtigen Run“. Ob es nach dieser Ausgabe noch eine weitere geben wird, ist derzeit ungewiss.

Der Qualität des Programms ist die klamme Kasse allerdings nicht anzumerken. Die OrganisatorInnen haben sich, wie sie selbst sagen, gerade unter diesen Bedingungen extrem professionalisiert. Vom lokalen Fokus profitieren auch die eng in die Produktion eingebundenen SchülerInnen der Oberschule Findorff.

Letztlich kommt man damit offenbar auch den Bedürfnissen des Bremer Publikums entgegen. Pflug berichtet von ausverkauften Bremer Inszenierungen aus den Vorjahren, während hochkarätige internationale Gäste danach vor nur 70 ZuschauerInnen spielen mussten. „Bremen ist nicht unbedingt eine Theaterstadt“, resümiert Pflug.

Und es ist nun auch nicht so, dass gar keine auswärtigen KünstlerInnen mehr zu sehen wären. Das deutsch-griechische „Fear Industry Project“ reist durch Europa, um die Inszenierungen gesellschaftlicher Ängste zu beleuchten. In ihre Auftritte werden stets PerformerInnen aus den Gastgeber-Ländern eingebunden – als ZeugInnen der lokalen Verhältnisse. Aus Bremen ist diesmal die Schauspielerin Andrea zum Felde dabei. Für die Proben ist sie nach Zypern geflogen und hat sich dort als Fremde mit spezifisch deutschen Ängsten beschäftigt: Sich anderswo einfügen zu müssen, sei etwa so eine, sagt sie.

„Bremen ist nicht unbedingt eineTheaterstadt“

Tobias Pflug, Festival-Leiter

Insgesamt allerdings habe das Projekt bei ihr doch eher Zweifel daran geweckt, dass „nationale Filter“ das Phänomen Angst begreifbarer machen. Im „Fear Industry Project“ treten zehn Charaktere in unterschiedlichen Angstsituationen auf: eine Mutter, deren Kind zu weit raus ins Wasser geht, ein Flugkapitän auf der Arbeit und eine Tupperware-Anhängerin mit Angst vor Keimen. So wird der Versuch unternommen, das Gemeinsame in den Ausdrücken der Urangst zu finden.

Ganz ohne Schauspieler folgt auch das Bremer Duo Benrath & Kluge diesem Ansatz. Ihre Rauminstallation „80,89“ befasst sich dem Tod. In der Kunst, sagen sie, werde das Sterben zumeist auf körperliche Erfahrungen reduziert. In ihrem begehbaren Krankenzimmer sollen die ZuschauerInnen aber die räumlichen Dimensionen des klischeehaften Sterbens reflektieren. Im Rahmen des Festivals wird ein Salon mit Bremer Fachleuten aus Hospiz, Krankenhaus und Uni stattfinden.

Statt jedenfalls Angst Angst sein zu lassen, verspricht „Explosive!“ also einen ausdifferenzierten Blick. Wenn es ein Gemeinsames gibt, ist das laut Pflug die Unterscheidung von lähmenden schlechten Ängsten und einer aktivierenden „Kraft der Angst“. Beides gehöre zur menschlichen Natur. Perfide werde es, wenn die Angst-Industrie das Gefühl kaufe, um ein Geschäft daraus zu machen – und da kann er sich der Aktualität dann auch ohne Paukenschlag nicht länger verweigern.

Festival: 13. bis 16. Januar im Kulturzentrum Schlachthof,www.schlachthof-bremen.de