„Sie sind sehr gut“: Hüseyin ÇiÇek (rechts) ist mit der Arbeit der syrischen Zahnärzte Amal Khadam (links) und Freddie Bechara, die in seiner Neuköllner Niederlassung angestellt sind, zufrieden Foto: Karsten Thielker

Ordentlich auf den Zahn gefühlt

Arbeit Die Zahnärzte Amal Khadam und Freddie Bechara kamen als Flüchtlinge nach Deutschland. In einer Neuköllner Praxis fanden sie Arbeit. Offiziell approbierte Zahnärzte sind sie aber dennoch nicht. Dafür müssen sie noch viele Hürden nehmen

von Alke Wierth

„Zahnmedizin, das ist ja viel Handwerk“, sagt Hüseyin Çiçek. Der Zahnarzt betreibt als Geschäftsführer seiner Firma Berodent fünf Praxen in Berlin mit insgesamt 110 Angestellten, davon 25 ZahnärztInnen. Seit einigen Monaten gehören zwei aus Syrien dazu: Freddie Bechara und Amal Khadam sind vor dem Krieg dort nach Deutschland geflüchtet. Jetzt behandeln sie Berliner PatientInnen in Çiçeks Niederlassung in Neukölln.

„Sie sind sehr gut“, sagt ihr Chef. Amal Khadam hat schon zwanzig Jahre lang als Zahnärztin in Syrien gearbeitet. Und der 33-jährige Bechara habe dort bereits „Erfahrung mit sehr hochwertiger Zahnmedizin“ gemacht. Defizite bei der Arbeitsqualität seiner syrischen Mitarbeiter gegenüber in Deutschland ausgebildeten ZahnärztInnen sehe er nicht, sagt Çiçek. Einarbeiten müsse er die beiden eigentlich nur „bei Verwaltungssachen wie Abrechnungen mit den Krankenkassen“. Aber das liege „in der Natur der Sache. Das können sie ja noch gar nicht können.“

Trotzdem: Bechara und Khadam sind noch längst keine offiziell approbierten Zahnärzte. Ihre syrischen Hochschulausbildungen werden, anders als solche etwa aus Bulgarien, Lettland, Litauen und den EU-Mitgliedsstaaten, in Deutschland nicht einfach anerkannt. Wie auch die HumanmedizinerInnen unter den syrischen Flüchtlingen müssen DentistInnen ein Anerkennungsverfahren durchlaufen, das in der Regel mit der sogenannten Gleichwertigkeitsprüfung endet. Erst wenn sie diese bestehen, erhalten sie mit der Approbation die Erlaubnis, selbständig zu praktizieren.

Freddie Bechara und seine Kollegin Khadam haben immerhin den halben Weg dorthin hinter sich. Beide haben eine Berufserlaubnis bekommen, die es ihnen gestattet, maximal zwei Jahre lang angestellt, also unter Aufsicht eines in Deutschland approbierten Zahnarztes, zu arbeiten. Dann müssen sie die Prüfung ablegen. Eine Verlängerung der zweijährigen Berufserlaubnis gebe es nur in Ausnahmefällen und nur befristet, erklärt Elke Kempin, die beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) für die Prüfung der Gleichwertigkeit ausländischer Ausbildungen von ÄrztInnen und PharmazeutInnen zuständig ist. Wer die Anerkennungsprüfung nicht gleich besteht, darf sie zweimal wiederholen.

Trotz des Lobs ihres Chefs über die Qualität ihrer Arbeit wissen Freddie Bechara und Amal Khadam, dass sie noch einige Hindernisse zu bewältigen haben. Ein Problem: die Sprache. Seit drei Jahren sind Khadam und Bechara in Deutschland, ihre Deutschkenntnisse seien dafür „bereits sehr gut“, sagt Çiçek. Doch für den Approbationsantrag ist ein medizinischer Fachsprachtest Voraussetzung, der mit dem Wissen aus den Flüchtlingen üblicherweise finanzierten Deutschkursen allein nicht zu bewältigen ist. Bechara hat diese Hürde bereits genommen. Er hat einen sechsmonatigen Vorbereitungskurs für die Approbationsprüfung besucht, den die Berliner Zahnärztekammer gemeinsam mit dem Lageso anbietet. Die Vorbereitung auf den Fachsprachtest ist ein Teil davon. Das sei „sehr hilfreich“ gewesen, so der junge Zahnarzt. Für ihn als anerkannten Flüchtling hat das Jobcenter die Kosten von etwa 9.000 Euro für den Vorbereitungskurs übernommen.

Amal Khadam dagegen hat ihre Aufenthaltserlaubnis in Deutschland nicht als Flüchtling bekommen – auch wenn sie faktisch ebenfalls vor dem Krieg in Syrien geflüchtet ist. Ihr Mann arbeitete zu Kriegsbeginn wie bereits öfter zuvor als Hochschullehrer in Deutschland. Er konnte die Zahnärztin als seine Ehefrau nachholen. Einen Asylantrag musste sie nicht stellen. Das hat Vor- und Nachteile für Khadam: etwa bei dem zweiten Problem, das die beiden syrischen ZahnärztInnen vor der Approbationsprüfung bewältigen müssen.

Es geht um Papiere. Für den Antrag auf die Erteilung der staatlichen Zulassung als Zahnarzt verlangt die Behörde neben detaillierten Ausbildungsnachweisen vor allem zwei Dokumente, die Flüchtlinge aus Syrien kaum beschaffen können und an die viele bei der Flucht, anders als an ihre Diplome, nicht gedacht haben – auch Khadam und Bechara nicht. Vorgelegt werden müssen laut der Checkliste des Lageso ein „aktuelles Führungszeugnis der Polizei- oder Justizbehörden des Heimatlandes“, das nicht älter als drei Monate sein darf, und ein „Leumundszeugnis der Zahnärztekammer des Landes“.

Für Amal Khadam immerhin rechtlich keine unlösbare, allerdings eine lebensgefährliche Aufgabe. Im Oktober fuhr die Zahnärztin gemeinsam mit ihrem Mann eigens ins Kriegsland Syrien, um die verlangten Papiere zu besorgen. „Ich blieb in unserer Heimatstadt Latakiya, er ist nach Damaskus gefahren, um die Dokumente zu holen“, erzählt sie. Ihr habe er den Besuch in der teilweise bombardierten Stadt nicht zumuten wollen. Freddie Bechara steht selbst dieser gefährliche Weg nicht frei. Als anerkannter Asylsuchender untersagen ihm nicht nur seine deutschen Aufenthaltspapiere ausdrücklich, nach Syrien zu reisen. Er hat als politischer Flüchtling zudem keine positiven Beurteilungen syrischer Behörden oder Kammern zu erwarten.

Elke Kempin von der Anerkennungsstelle des Lageso sagt auf taz-Anfrage dazu zwar: „Wenn jemand als Flüchtling anerkannt ist, haben wir keine Probleme, auf das Führungszeugnis zu verzichten.“ Das Leumundszeugnis der Kammer sei aber unabdingbar. Doch zu den Betroffenen hat sich dies offenbar noch nicht herumgesprochen. Viele, erzählt ein anderer syrischer Zahnarzt, der ebenfalls politisches Asyl in Deutschland hat und anonym bleiben möchte, da er noch am Anfang des Anerkennungsverfahrens steht, zahlten Bestechungsgelder an Beamte des von ihnen gehassten syrischen Regimes, um an die Papiere zu kommen.

Und auch, wenn sie alle diese Probleme gelöst haben, erwartet Bechara und Khadam noch der schwere – und nicht zuletzt auch teure – Anerkennungstest. 1.731 Euro koste die Teilnahme an der zweimal jährlich stattfindenden Prüfung derzeit, sagt Kempin, „und wir sind nicht das teuerste Land“. HumanmedizinerInnen müssen nur 450 Euro zahlen. Anders als bei ihnen ist die Anerkennung ausländischer Ausbildungen bei ZahnärztInnen nur grob durch Bundesgesetze geregelt – was zur Folge hat, das in jedem Bundesland Bedingungen und Kosten andere sind. Warum das so ist, kann auch Professor Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer (BZÄK), nicht genau sagen. Erst im Oktober habe die BZÄK das Bundesgesundheitsministerium erneut aufgefordert, seiner Verpflichtung zu einer einheitlichen Gesetzgebung bei der Anerkennung ausländischer Zahnarztausbildungen nachzukommen, „es geht aber nicht vorwärts“, so Oesterreich zur taz. Das Ministerium selbst verweist auf taz-Anfrage auf den in Arbeit befindlichen „Masterplan Medizinstudium 2020“, der auch diese Fragen regeln solle.

„Defizite bei der Arbeitsqualität sehe ich nicht“

Hüseyin ÇiÇek, Berodent Zahnärzte

Dass es möglicherweise der bei ZahnärztInnen anders als bei HumanmedizinerInnen geringere Fachkräftemangel sein könnte, der die Gesetzesregelung verzögert und damit die Anerkennung der geflüchteten ZahnärztInnen erschwert, glaubt Oesterreich nicht: „Wir haben derzeit zwar keinen Zahnärztemangel, aber auch keine Überversorgung“, sagt er. Mit dem wachsenden Bevölkerungsanteil älterer Menschen werde auch der zahnärztliche Versorgungsbedarf steigen. „Die Anerkennung der Fachkräfte unter den Geflüchteten ist für uns deshalb ein wichtiges Thema.“

In der Anerkennungsstatistik des Lageso zeigt sich dies jedoch noch nicht. Zwar habe sich die Nachfrage nach Beratungen in den vergangenen zwei Jahren, also mit den Flüchtenden aus Syrien, schon verdoppelt, sagt Elke Kempin. Doch in den Approbationserteilungen bildet sich das noch nicht ab. Sieben Berufserlaubnisse und zwei Approbationen vergab Berlin im Jahr 2014 an syrische ZahnärztInnen. Bis August 2015 waren es jeweils nur zwei. Bei der bislang letzten Anerkennungsprüfung bestand keine der fünf TeilnehmerInnen beide Teile des Tests, der aus einem theoretischen und einem praktischen Modul besteht.

Und eine im Januar bevorstehende Gesetzesänderung, die eine Anpassung des deutschen an europäisches Recht erfordert, kann die Lage der syrischen ZahnärztInnen zunächst weiter erschweren: Sie verlangt künftig „ein Studium der Zahnheilkunde von 5.000 Stunden“ – die SyrerInnen liegen knapp darunter.

Der Berliner Zahnarzt Hüseyin Çiçek will seine beiden syrischen KollegInnen und Angestellten nach besten Kräften dabei unterstützen, es trotz aller Hindernisse zu schaffen. Für den 44-Jährigen ist das auch eine Frage der Menschlichkeit. Çiçeks Familie ist vor Jahrzehnten selbst aus der Türkei nach Deutschland eingewandert. „Vielleicht können wir die Lage der Geflüchteten und die Probleme, die sie hier haben, deshalb gut nachempfinden“, sagt er. Zwar würden viele Menschen in Deutschland den Flüchtlingen helfen, aber „andere wollen sie nicht als Nachbarn haben“, sagt Çiçek: „Da fühle ich als ‚Kanake‘ mich auch angegriffen!“ Und noch etwas macht es für ihn persönlich wichtig, zu helfen: „Es trägt auch dazu bei, dass ich selbst mich hier mehr zu Hause fühle.“