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Run auf RechtsberatungÜberarbeitet und ausgenutzt

Arbeitnehmerkammer Bremen zieht Bilanz: 2015 haben sich besonders viele ArbeitnehmerInnen zu ihren Rechten beraten lassen.

Vor allem Dienstleistungsberufe bedeuten oft: nicht geregelte Arbeitsverhältnisse. Foto: Nicolas Armer/dpa

So viele Menschen in Rechts- und Steuerfragen beraten wie nie zuvor in ihrer Geschichte hat die Arbeitnehmerkammer im Jahr 2015. 42.649 Arbeitsrechtsberatungen haben die BeraterInnen in Bremen, Bremen-Nord und Bremerhaven durchgeführt. Das „Top-Thema“ seien Fragen zu Lohn und Gehalt gewesen, sagte am Dienstag Kammer-Geschäftsführer Ingo Schierenbeck. Seine Erklärung: „Die Tarifbindung nimmt ab, dadurch gibt es immer mehr Einzellösungen, die als ungerecht empfunden werden, es fehlt an Transparenz und Automatismen beispielsweise bei der Gehaltserhöhung.“

Viele Konflikte entstünden auch durch einerseits steigende Anforderungen und andererseits deutlich erhöhte Erwartungen an Flexibilität, so Schierenbeck. Ständig wechselnden Arbeitszeiten und neuen Strukturen seien viele ArbeitnehmerInnen nicht gewachsen. Vor allem Ältere oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen gerieten so unter Druck, dass sie letztendlich ihren Arbeitsplatz verlieren.

Denn auch die Beratungen zum Thema Kündigungen hätten auffallend zugenommen, sagte Schierenbeck. Verantwortlich dafür sei ausgerechnet die gute wirtschaftliche Lage, schilderte der Leiter der Kammer-Rechtsberatung Sven Thora. Von der würden nämlich vor allem hochqualifizierte Menschen profitieren. Die anderen eher nicht: „Wenn die Auftragsbücher voll sind, dann stellen viele Betriebe im produzierenden Gewerbe von zwei auf drei Schichten um.“ Doch viele Menschen verkraften Nachtarbeit und Wechselschicht nicht auf Dauer. Je mehr sie wegen Krankheit oder Erschöpfung fehlten, desto größer würden die Konflikte im Betrieb, was wiederum Fehlzeiten provoziere, so Thora. Der Teufelskreis ende meist erst damit, dass jemand freiwillig kündige oder entlassen werde. „Dahinter muss nicht immer böse Absicht des Arbeitgebers stecken.“ Oft komme die Erkenntnis, dass es sich letztendlich lohnt, erfahrene Arbeitnehmer zu halten, erst sehr spät.

Die zweite Branche – neben dem produzierenden Gewerbe –, aus der besonders viele Anfragen kamen, seien Jobs in der Pflege und Gesundheit gewesen. Schuld sei auch hier, so Thora, zu viel Arbeit und zu wenig Beschäftigte. Er schilderte das Beispiel einer Frau, die eigentlich eine 25-Stunden-Stelle hatte, aber ständig an ihren freien Tagen angerufen wurde, um Lücken zu füllen. Auch sie konnte das Problem letztendlich nicht anders lösen als durch einen Job-Wechsel.

Wir müssen dringend dem Befristungsunwesen Einhalt gebieten

Ingo Schierenbeck, Geschäftsführer der Arbeitnehmerkammer

Frauen, sagte Schierenbeck, würden überdurchschnittlich oft in die Beratung kommen. Im Jahr 2015 fanden 24.796 Beratungen mit Frauen statt und 17.853 mit Männern. „Das liegt daran, dass Frauen oft in Dienstleistungsberufen arbeiten und damit in nicht geregelten Arbeitsverhältnissen.“

Helfen könne hier, wenn es leichter werde, geschlossene Tarifverträge auf eine ganze Branche auszuweiten. Seine zweite Forderung: „Wir müssen dringend dem Befristungsunwesen Einhalt gebieten.“ Zu viele Stellen würden nur noch befristet besetzt, Beschäftigte fühlten sich daher dauerhaft in der Probezeit.

Seltener als erwartet hat die Arbeitnehmerkammer im vergangenen Jahr zum Thema Mindestlohn beraten – und das, obwohl er 2015 erst eingeführt wurde. Ein Dauerbrenner bleiben dafür Fragen zum Thema Elternzeit, die es seit 15 Jahren gibt. 1.582 Mal hat die Arbeitnehmerkammer dazu beraten, von den hier Hilfesuchenden waren 1.364 Frauen.

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