Öl entfacht apokalyptisches Feuer im Netz

Auf der Internetplattform Peak-Oil-Forum sind sich die Diskutanten sicher: Weil die Reserven bald zur Neige gehen, steht der „finale“ Energieschock unmittelbar bevor. Es werden nur noch die Optionen debattiert: Marschiert China in Venezuela ein?

VON HAUKE RITZ

Sie geben sich Fantasienamen wie Sukram, Ultradoc, MBS oder Diazotrophicus. Und in ihrem Forum tauschen sie Nachrichten aus, die alle von einer kommenden Ölkrise handeln. Gerade in jüngster Zeit, da der Ölpreis bei jedem Hurrikan neue Rekordwerte erreicht, hat das Peak-Oil-Forum Konjunktur. In dem bedeutendsten deutschsprachigen Internet-Treff zum Thema werden Meldungen gesammelt und diskutiert, die gewöhnlich durch das Netz der öffentlichen Aufmerksamkeit fallen.

Zum Beispiel diese: „Irans Ölminister warnt vor sinkender Förderung“ oder „Indonesien meldet akuten Benzinmangel“. Die Teilnehmer sammeln ihre Indizien für die „finale“ Ölkrise auf abgelegenen Internetseiten. „Australien! Die Benzindecke reißt immer wieder ein.“ Oder „Durchhalteparolen für Irakeinsatz – US-General: Unser Lebensstil steht auf dem Spiel.“

Die Forumsmitglieder glauben an die Peak-Oil-These. Diese besagt: Die Ölförderung hat ihre Spitze fast erreicht und wird bald jährlich um 2 bis 6 Prozent abnehmen. Damit sind sie nicht weit entfernt von unabhängigen professionellen Geologen, die auf ihren Kongressen auch nur noch debattieren, ob das Fördermaximum 2006, 2010 oder erst 2013 erreicht sein wird.

Manchmal wird die Stimmung im Forum apokalyptisch. „Lässt man uns ins offene Messer laufen?“ Denn dass „das Ende der westlichen Lebensweise“ droht, ist bei den Peak-Oil-Fans längst Konsens. Sie diskutieren nur noch die Einzelheiten des Zusammenbruchs. Ob etwa auch das Stromnetz kollabiert. Ob es zu Nahrungsengpässen kommt, da Öl für Düngemittel und Pestizide gebraucht wird. Werden die Amerikaner den Iran angreifen? Oder versuchen sie, China von den Ölmärkten abzuschneiden. Auch die Frage, ob die Grenzen des Wachstums erreicht sind, spielt eine Rolle. Und ob das größte Ölfeld der Welt, Ghawar in Saudi-Arabien, wirklich kurz vor dem Produktionskollaps steht.

Gelegentlich bricht Streit aus. Etwa wenn MBS in seinen apokalyptischen Naherwartungen wieder etwas zu weit gegangen ist. Dann heißt es, „MBS ist ein Peak-Oil- Junkie“. Durch ihn würde das Forum an „Qualität verlieren“ und „zu einem Endzeit-Katastrophen-Forum mutieren“. Denn die Teilnehmer wollen nicht als Verschwörungstheoretiker gelten. Besorgt um die Außenwahrnehmung wollten manche bereits ein MBS-freies Forum gründen.

Doch da meldete sich plötzlich die erste weibliche Teilnehmerin und stellte sich in ihrem einzigen Beitrag schützend vor den geächteten MBS. „MBS, mach weiter so, ich liebe deine Beiträge.“ Die mysteriöse „Judy“ war noch tagelang ein Thema und ließ die Kritiker verstummen. Seither darf MBS seine Endzeiterwartungen wieder posten.

Doch MBS ist keineswegs der einzige Apokalyptiker. Obwohl Realos mäßigend einwirken wollen, finden sich immer wieder Beiträge, die den Weltenbrand beschwören. „Der Großkrieg gegen den Iran … er kommt“ oder „Entwurf einer neuen Verteidigungsdoktrin: Propaganda für den atomaren Angriffskrieg ums iranische Öl/Gas läuft“. Selbst eher unerwartete Koalitionen werden nicht ausgeschlossen: „Chinesische Truppen in Venezuela“. Oft wird diese Katastrophenfaszination wohlig schaudernd zelebriert. „Das Ende nähert sich in ganz großen Schritten.“ Dann wieder wird existenzielle Angst geäußert. Wenn etwa eine „Weltwirtschaftskrise“ gefürchtet wird, „gegen die sich die von 1929 wie ein laues Lüftchen darstellt“.

Aber längst nicht jeder Beitrag ist pessimistisch. Die Ölkrise wird auch als Chance gesehen: Endlich hat sich die „auf Raubbau basierende Klimbimgesellschaft“ erledigt. Wenn MBS schreibt „Die letzte Ölkrise ist es, die alles verändern wird … alles !!!“, dann explodiert die Erregung eines Konsumverweigerers. Man erhofft sich von der Ölkrise die Befreiung aus einer Realität, die durch Konsum, Werbung und Informationsdesign immer unwirklicher geworden ist. Die Forumsmitglieder nehmen das Ende der „derzeitigen industriellen Verschwendungsgesellschaft“ emphatisch vorweg. Sie betrachten die Gegenwart als eine Wirklichkeit, die eigentlich schon vergangen ist.