MUSIK

MusikTim Caspar Boehmehört auf den Sound der Stadt

Das ausklingende Jahr bietet gern Anlass zur Einkehr. Blick nach innen, Gehör ebenfalls dort hinein gerichtet, um zu erkunden, was alles so aufgelaufen ist bis dahin. Dazu eignet sich traditionell am besten die Stille – oder Vergleichbares. Doch keine Angst, diese Kolumne soll nicht saisonbedingt zur Lebenshilfe-und-Ratgeber-Kolumne umfunktioniert werden, daher folgen jetzt auch keine Meditationstipps und Verwandtes. Man könnte ohnehin einwenden, dass das Jahr weniger Anlass zur Besinnlichkeit als zu Empörung oder Trauer geboten hat. Sich allein aus diesem Grund dem Musikangebot der Stadt zu verweigern wäre jedoch schade. Und um sich umgekehrt der Neigung zur Einkehr nicht völlig indifferent gegenüber zu zeigen, sei auf einige Gelegenheiten zu etwas weniger lauten Hörerlebnissen hingewiesen. Zum Beispiel auf das Neujahrskonzert des Rias Kammerchors, der sich am Freitag der Semi-Oper „The Fairy Queen“ von Henry Purcell widmet. Halbopern sind dabei keine musikalisch minderwertigen Bühnenwerke, sondern Mischformen mit gesungenen, gesprochenen, getanzten und rein instrumentalen Anteilen, die sich im Barock großer Beliebtheit erfreuten. Das Werk aus dem Jahr 1692, das lose auf William Shakespeares Komödie „A Midsummer Night’s Dream“ beruht, war für ein paar Jahrhunderte verschollen, bis es im 20. Jahrhundert wiederauftauchte. Der Rias Kammerchor und der Dirigent Rinaldo Alessandrini haben sich für ihre Aufführung, mit der sie das Shakes­peare-Jahr 2016 einläuten, sogar ein paar szenische Einlagen einfallen lassen (Herbert-v.-Karajan-Str. 1, 1. 1., 20 Uhr, 30–60 €).

Um beim Gesang im Kollektiv zu bleiben: Am Montag (4. 1.) kann man im Konzerthaus Vokalmusik jüngeren Datums zu hören bekommen. Das Solistenensemble Phønix 16 singt dort nämlich „Les Chants de l’Amour“ für 12 Stimmen und Tonband des französischen Komponisten Gérard Grisey. Der 1998 im Alter von 52 Jahren gestorbene Grisey ist einer der Hauptvertreter des „Spektralismus“, einer Strömung der Nachkriegszeit, in der es um das genaue Erkunden von Obertonverhältnissen geht. Herkömmliche, gar romantische Liebeslieder sollte man bei ihm nicht erwarten, auch wenn der Titel anderes suggerieren mag. Zum genaueren Verständnis der Musik erörtert der Komponist Christian Jost gemeinsam mit dem Solistenensemble Phønix 16 die Struktur dieser Gesänge (Gendarmenmarkt, 4. 1., 20 Uhr, 15 €).

Und um es mit dem Gesang nicht zu übertreiben: Ebenfalls am ersten Montag des Jahres beehren die Projekte Driftmachine und Svarte Greiner die Volksbühne – mit düster-krautiger Elektronik und „acoustic doom“ (Rosa-Luxemburg-Platz, 4. 1., 21 Uhr, 13 €).