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Die Linke, Yanis Varoufakis, Claus Peymann und das nun endende JahrDie Lust, als die Guten gewinnen zu können

Foto: privat

Neue Heimat

von Jan Feddersen

Zwei Dinge wird man Angela Merkel unter CDU-Stahlhelmern nie verzeihen: dass sie die Jungs des sogenannten Andenpakts alle kaltgestellt hat (Wulff, Oettinger, von Beust, Merz, Koch und einige andere). Sie, die Zonengabi auf Helmut-Kohl-Ticket, die alte westdeutsche Männerseilschaft auf ihren Wegen nach ganz oben zu kastrieren wusste. Und zweitens, dass diese Unionschefin ihrem Laden den Schlamassel mit den Flüchtlingen zumutete und dies ja auch weiter tut. Dass sie also ihre Partei (und ihr Land) wie eine versierte Putschistin ummodelte.

Welch Ironie der Geschichte, dass eine Kanzlerin der Konservativen gerade Linken und Alternativen das Gefühl zurückgibt, gewinnen zu können: gegen die Rassisten, gegen die deutschen Milieus, die auf ethnische und lebensstilige Homogenität halten, und gegen eine Lebenseinstellung, dass alles so bleiben soll, wie es ist. „Wir schaffen das“ – das war im Sommer auch der Wake-up-Call gegen eine sich radikal verstehende Linke, die ihr Mütchen seit Jahren an Griechenland kühlte. Und Yanis Varoufakis für einen Marx der Neuzeit hielt, die griechische Syriza für die ersehnte linksradikale Alternative und des Finanzministers Belehrungsstunde in EU-Gremien als Aufbruch in die revolutionäre Morgenröte empfinden wollte.

In Wahrheit hatte Merkel die, wenn man so will, linkere Politikmöglichkeit zu bieten. Die hieß: Solidarität mit Menschen, die sie nötig haben. Ob aus Gründen des Kriegshorrors oder weil sie in unsicheren muslimischen Verhältnissen in Nahost ein besseres Leben wollten – nämlich in Deutschland oder Schweden. Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, sagt es in der neuen Zeit offenen Herzens: Dieses Jahr habe sein Denken verwirrt. Die alten Koordinaten – rechts, links, oben, unten – stimmten nicht mehr. Er stelle sich darauf ein, ohne genau zu wissen, wohin das führe.

Die Linke hatte es offenbar mit ihrem notorischen „Die nächste Krise kommt bestimmt“ übertrieben. Das Publikum – bis auf jene, die auf apokalyptisches, miserabilistisches Denken und Fühlen stehen – hatte all dies satt.

Man erkannte das neulich in der Berliner Volksbühne, als der Exfinanzminister Griechenlands zum Talk eingeladen war. Die Zuschauer: irgendwie willig zur Ergriffenheit, aber müde, erledigt, erschöpft. Die Republik hatte andere Sorgen, hätte man damals schon sagen können: Wie integriert man eine Million neue Bürger*innen? Das bohemistische Apokalypsemilieu hingegen – ratlos, weltlos, heimatlos. Waren einem Spieler aufgesessen. Wie sie intellektuell selbst welche sind.

Jedenfalls: Denn dass die allermeisten der nach Deutschland – aus der Perspektive der Flüchtlinge ja: das neue Jerusalem der Welt mit Merkel an der Spitze – Kommenden nicht wieder gehen werden, wissen alle in den politischen Eliten des Landes. Wie auch in jedem Teil der Republik: in Vereinen, Freiwilligen Feuerwehren, Schulen und, und, und. Das wird unser Land verändern.

Wie gut es gelingt, hängt vom Wollen aller Beteiligten ab. Linke konnten lernen, dass was gehen kann. Machen wir (mit) was draus.

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