IM PLATTENLADEN: Still pissed at Yoko
Auf seinem T-Shirt steht: „Still pissed at Yoko!“ Seine Frisur und sein Brillengestell verraten, dass dem auch tatsächlich so ist. Sein Plattenladen riecht, wie Plattenläden von älteren Männern riechen müssen. Man möchte eigentlich angeekelt den Raum verlassen, sagt stattdessen aber: „Voll real hier!“ Das „real“ wird englisch ausgesprochen.
Ich möchte mich nur umschauen, aber der Mann mit der Frisur und dem Brillengestell aus den Sechzigern wuselt ständig um mich herum. Er hält mir diese und jene Undergroundplatte vor die Nase. Er preist das eine oder andere Gitarrenriff. Und er verrät mir Hintergrundwissen, das niemand braucht. Als ich eine Platte der Sugarhill Gang länger als drei Sekunden betrachte, erzählt er mir, dass diese damals das gesamte Tonstudio von Musikproduzent Thomas Stein mit Graffiti voll geschmiert hätten.
Kurzum, es gibt nichts, was er nicht kennt oder rausfinden kann, entweder schon da hat oder besorgen könnte. Also entscheide ich mich: Es soll „Mr. Vain“ sein, der Danceklassiker von Culture Beat. Der Typ mit dem T-Shirt, das ihn als John Lennon-Verehrer identifizierbar macht, guckt leicht entgeistert. Er ist sich nicht sicher, ob er verarscht wird. Ich weiß es bereits, denn ich habe den Laden nur betreten, um die Zeit totzuschlagen, und nun beschlossen, dem Zausel etwas Freude zu bereiten. Dann erklärt er mir – was ich wiederum bereits weiß –, dass dieses Stück Musik sozusagen den Untergang des Abendlandes darstellt, war es doch der erste Nr.-1-Hit der UK-Charts, der nicht auf Vinyl erschien. „Schade!“, sage ich und verlasse schlendernd den Raum. „Ich war vor Jahren mal in London und hab dort ne Raubpressung gesehen. Aber die wirst du wahrscheinlich nicht kennen, oder?“ Das alles ist erstunken und erlogen. So aber, stelle ich mir vor, hat der Allwissende ein neues Ziel vor Augen.
JURI STERNBURG
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