Mein Traum? Diplomingenieur!

Studium Das Gasthörer- und Mentorenprogramm der Technischen Universität München eröffnet Geflüchteten die Chance auf eine universitäre Ausbildung. Der syrische Kurde Suar Mustafa will sie nutzen – und sich einen Kindheitstraum erfüllen

Studentin an der TU München: Geflüchtete – endlich wieder mehr als „nur“ Flüchtlinge Foto: Tania Reinicke/laif

Aus München margarete moulin

Als Suar Mustafa in seiner Heimatstadt Qamişchli an der syrisch-türkischen Grenze noch zur Grundschule ging, bastelte er sich zu Hause ein Schild für seine Zimmertüre. Auf das schrieb er: Dipl.Ing. Suar Mustafa. „Ein Ingenieur zu werden war seit je mein Kindheitstraum!“, erzählt der syrische Kurde.

Der 24-Jährige sitzt im Studentencafé der Technischen Universität München, umsummt von den Stimmen zahlreicher junger Menschen, die hier Kaffee trinken, diskutieren, in Vorlesungsunterlagen blättern. „In Syrien durfte ich aus politischen Gründen nicht Elektrotechnik studieren“, erzählt er. „Meine Familie bezahlte mir ein Fernstudium an einer englischen Universität.“

Aber als der Bürgerkrieg ausbrach, geriet der junge Mann, der neben seinem Studium fürs kurdische Fernsehen arbeitete, ins Visier der IS-Terrormiliz. „Eines Tages klebte an meinem Auto eine Botschaft mit einer klaren Drohung. Ich hatte 24 Stunden, um zu verschwinden.“

Im Oktober 2013 begab sich Mustafa also auf eine mehr als 3.500 Kilometer lange Reise über den Balkan, die vor einem Jahr in der Flüchtlingsunterkunft Bayernkaserne in München endete. Im Gepäck: sein Kindheitstraum. Der könnte sich jetzt erfüllen.

Seit Oktober besucht Mustafa an der TUM Vorlesungen in Elektrotechnik und Informationstechnik, dazu einen Deutsch-Intensivkurs. Möglich macht dies ein Gasthörerprogramm für Geflüchtete. Es erlaubt diesen, für die Dauer eines Semesters Vorlesungen zu besuchen.

„Anstatt in ihren Unterkünften untätig zu warten, können sie in dieser Zeit herausfinden, wie eine deutsche Uni funktioniert und was sie noch an Nachweisen bringen müssen, um sich für ein reguläres Studium einzuschreiben“, erklärt David Schneider, der Koordinator des Programms.

Die wenigsten Flüchtlinge führen eine gültige Hochschulzugangsberechtigung mit. Oft sind ihre Dokumente noch im Heimatland, oder ihre Schulabschlüsse werden gar nicht anerkannt. „Deswegen haben wir beim Gasthörerprogramm die Anforderungen bewusst gesenkt, um möglichst vielen der talentierten und motivierten Geflüchteten die Chance für ein späteres, reguläres Studium zu eröffnen, sei es an der TUM oder einer anderen Hochschule“, sagt Schneider.

Die Gasthörer müssen nur die BÜMA, die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender nachweisen. Dann folgt eine individuelle Studienberatung. „Dabei fragen wir nach ihren Abschlüssen, Sprachkenntnissen und natürlich nach den Interessen“, erklärt Schneider das Prozedere. Fehlt die Hochschulzugangsberechtigung, unterstützt die Uni die Gasthörer bei den nötigen Schritten, diese nachzuholen.

90 Männer und sieben Frauen haben sich für das Wintersemester 2015/16 eingeschrieben, die Hälfte davon stammt aus Syrien. Die meisten der Gaststudenten besuchen an der Uni einen semesterbegleitenden Deutschkurs, rund ein Drittel erhält zusätzlich Englischunterricht.

„Viele sind hochambitioniert, manche fahren von Traunstein oder vom Tegernsee bis nach München und zurück, um zwei Vorlesungen zu hören“, weiß Schneider. „Das sind Menschen, die in ihren Heimatländern einen Status und Perspektiven hatten und hier quasi von vorne anfangen müssen, weil sie Sprache und Kultur nicht kennen. An der Universität sind sie zum ersten Mal wieder mehr als ‚nur‘ Flüchtling.“

Das Gasthörerprogramm wird flankiert von dem Mentorenprogramm „Buddies for Refugees“. TUM-Studierende, Ehemalige, erfahrene Mitarbeiter und Wissenschaftler begleiten die neuen Gasthörer an der Uni und helfen ihnen, sich in den deutschen Alltag zu integrieren.

„Deutschland gibt mir die Würde zurück, die andere mir genommen haben“

Suar Mustafa

Im TUM-Café sitzt neben Suar Mustafa deswegen auch die 25-jährige Doktorandin Clara Orthofer. Die junge Frau ist seine Mentorin, zusammen bilden sie ein Tandem. „Wir treffen uns alle zwei Wochen und klären Suars Fragen. Mal geht es um solche Dinge, wie eine beglaubigte Übersetzung, dann wieder reden wir einfach darüber, wie hier die Dinge so laufen“, sagt Orthofer.

Mit am Tisch sitzt auch Remco Stan ein bereits promovierter Wissenschaftler aus den Niederlanden. Der 31-Jährige ist „Senior Buddy“ und hilft dem Tandem, wenn es mit einem Problem überfragt ist. Er freut sich, dass er seine Forschertätigkeit mit sozialem Engagement verbinden kann. Und Orthofer bietet dieses System Sicherheit. „Ich kann mich in dieser besonderen Situation einbringen, aber weiß, da steht einer hinter mir, der mehr Erfahrung mit dem Unibetrieb und dem Leben hat als ich.“

Als Vorbereitung auf ihren Einsatz haben alle Junior- und Seniorbuddies eine Schulung bekommen mit aktuellem Hintergrundwissen zum Thema Flucht, zur interkulturellen Kommunikation und mit Hinweisen dafür, wie sie mit eventuell Traumatisierten umgehen, ohne sich selbst zu überfordern. Ringvorlesungen zu Länderkunde, Politik, Staatsbürgerkunde und Integration, die Mentoren und Gasthörer gleichermaßen besuchen können, sollen folgen.

Suar Mustafa ist stolz, an einer der renommiertesten Universitäten Europas studieren zu dürfen. „Hier nimmt man meinen Traum ernst.“ Er sagt es fast staunend. Dass er ein guter Ingenieur werden möchte, ist für ihn eine Frage der Loyalität gegenüber seinem Gastland: „Deutschland gibt mir nicht nur eine Chance. Es gibt mir die Würde zurück, die andere mir genommen haben.“

Auf dem Campus laufen viele Menschen mit dunkler Hautfarbe oder schwarzen Haaren umher. Wer von ihnen Flüchtling oder regulärer, ausländischer Student ist, ist nicht auszumachen. Mustafa genießt das Verschmelzen in diesem internationalen Umfeld. „Hier schert sich keiner darum, wie dein Kopf aussieht“, sagt er. „Aber alle interessieren sich dafür, was du in deinem Kopf drin hast.“