Spargel statt Schiffe

UMBAU Auf der Emder Werft sollen künftig Offshore-Windanlagen produziert werden

AUS EMDEN WOLF SCHMIDT

Fritz Niemeier, 62, steht am Tor der Werft draußen am Zungenkai. Noch weht dort die weiß-blaue Fahne des alten Eigentümers der Nordseewerke: ThyssenKrupp. Niemeier begrüßt den Besucher mit einem Handschlag, der noch eine halbe Minute später zu spüren ist. Er hat breite Schultern und ein kantiges Gesicht, Windjacke und Wollmütze schützen ihn vor der steifen Novemberbrise. Am Schlüsselbund hängt ein Anhänger der IG Metall.

Niemeier hat 46 Jahre lang auf der Werft gearbeitet, 1963 hat er als Elektriker-Lehrling angefangen, von 1991 an war er Betriebsratschef. Zuletzt musste er zusehen, wie die Werft immer tiefer in den Strudel der Weltwirtschaftskrise geriet. Kaum eine Branche wurde 2009 so hart getroffen wie der Schiffbau, sechs deutsche Werften meldeten innerhalb eines Jahres Insolvenz an. Wenn der Welthandel stillsteht, braucht auch niemand mehr Handelsschiffe.

Geht Niemeier in diesen Tagen über die Emder Werft, schießt ihm immer wieder ein Gedanke durch den Kopf: „Es kann einfach nicht sein, dass hier keine Schiffe mehr gebaut werden sollen.“ Aber genau so ist es.

Auf der Helling unter dem 70 Meter hohen orangefarbenen Bockkran sieht man den wuchtigen Rumpf der „Frisia Cottbus“. Sie ist das letzte Containerschiff, das hier gefertigt wird. Mitte Dezember soll es vom Stapel laufen. „Alles, was schwimmt, haben wir hier gebaut“, sagt Niemeier. Tanker, Eisbrecher, Frachtschiffe, U-Boote, Fregatten, Korvetten. „Alles.“

Als im September die Nachricht vom bevorstehenden Aus der Werft kam, haben die Arbeiter einen schwarzen Sarg vor das Werkstor gestellt. Sie haben Mahnwachen abgehalten und Plakate aufgehängt: „Unser Schiffbau darf nicht sterben“. Tausende gingen durch die 50.000-Einwohner-Stadt und protestierten. Aber am Ende ließ sich der Verkauf der Werft nicht mehr aufhalten, auch nicht durch die Politik.

In den kommenden Wochen wird nun die Firma Siag Schaaf aus dem rheinland-pfälzischen Dernbach in den Hallen der Nordseewerke anfangen, Türme für Windkraftanlagen zu bauen. Hunderte Windräder sollen in den nächsten Jahren weit vor der deutschen Küste in Betrieb gehen. Von den 1.200 Werftarbeitern wollen die neuen Eigner 720 übernehmen. Von den restlichen 480 werden einige weiter für ThyssenKrupp arbeiten, andere werden in Altersteilzeit gehen oder das Unternehmen verlassen. Betriebsbedingte Kündigungen soll es keine geben. Für mindestens zwei Jahre gelten die alten Löhne, so steht es in einem „Zukunftsvertrag“. Es klingt eigentlich nach einem ganz guten Deal.

Siag Schaaf will im hohen Norden noch übertreffen, was dem Unternehmen in den vergangenen 15 Jahren im Osten gelungen ist. Im brandenburgischen Finsterwalde und in Leipzig produzieren heute mehr als 400 Mitarbeiter Teile für herkömmliche Festland-Windräder. Auch das sächsische Werk diente einst einem völlig anderem Zweck: In der DDR wurden hier Chemieanlagen gebaut. Heute jubelt die Landespolitik über das Vorzeige-Green-Tech-Unternehmen.

Über die Einzelheiten der Pläne in Emden schweigt sich Siag Schaaf derzeit aber noch aus, ein Treffen mit Firmenchef Rüdiger Schaaf war nicht möglich. Es fänden noch sensible Verhandlungen und Gespräche statt, sagt der Pressesprecher.

Die Emder bleiben skeptisch, ob das denn klappt mit den Rheinland-Pfälzern und ihren Offshore-Anlagen. Wer sich in den Kneipen um den Delft umhört, trifft alte Schiffbauer, die sich von dem Bau der Windkrafttürme nicht allzu viel versprechen. „Spargel“ nennen manche sie verächtlich. Man könne das nicht vergleichen, sagen die Männer beim Bier. Windräder und Schiffe, das sei doch wie Tag und Nacht. „Eine einzige Katastrophe“, sagt ein 71-Jähriger, der noch Schiffdecks aus Holz gezimmert hat. Und sein Nachbar am Tresen murmelt: „Emden ohne Schiffbau ist wie Berlin ohne Brandenburger Tor.“

Auch unter den Beschäftigten in den Nordseewerken ist die Unsicherheit groß. Noch im November wussten viele nicht, ob sie unter denen sind, die im neuen Unternehmen bleiben können. „Uns sagt ja keiner was“, ärgert sich einer der Arbeiter, die nach Schichtende um 15 Uhr aus der Werft zu ihren Autos strömen.

Fritz Niemeier glaubt dagegen an die neuen Eigner aus Süddeutschland. Er sieht das Potenzial der grünen Technologie. Als Spargel würde er die Windkrafttürme jedenfalls nie verspotten. „Das ist kein Low-Tech“, sagt er in Windjacke und Wollmütze vor dem Werkstor. „Das ist Zukunftsmusik, die sich hier abspielen kann.“ Am selben Tag haben die Konzerne EWE, Eon und Vattenfall 45 Kilometer vor Borkum den ersten Offshore-Windpark Deutschlands fertiggestellt. „Alpha Ventus“ heißt er, in Ostfriesland stand es groß in allen Zeitungen.

Doch könnte nicht auch beides gehen, fragt sich Niemeier: Schiffe und Windräder? Denn die Offshore-Anlagen müssen ja auch montiert werden, dort draußen, auf rauer See. „Das kannst du nicht mit einem Paddelboot machen“, sagt er. Dafür braucht man Spezialschiffe. Könnten die Emder Werftarbeiter die nicht gleich mitbauen? Es wäre die Verbindung von alter und neuer Industrie. Von Vergangenheit und Zukunft.

Auch wenn das Szenario nicht sehr wahrscheinlich ist – noch besteht eine kleine Chance, dass Niemeiers Traum Wirklichkeit wird. Die Tür für den Schiffbau sei noch nicht ganz zugeschlagen, sagt er, auch die Politiker hoffen noch.

Niemeier selbst wird das nicht mehr beeinflussen können. 18 Jahre lang war er Betriebsratschef, jetzt ist er in Altersteilzeit gegangen. Er überlegt nun, mit dem Wohnmobil ans Nordkap zu fahren.