Das Schwankhallen-Experiment

Kunstwert In der Bremer Schwankhalle gab es den historischen Versuch, das Publikum den Eintritt bestimmen zu lassen. Das Experiment war erfolgreich, wurde aber unter der neuen Leitung eingestellt

„Bezahl, was du willst!“: die Schwankhalle im Januar dieses Jahres   Foto: dpa

Bremer Lichtspielhäuser haben es schon vor zehn Jahren ausprobiert: Sie luden kostenlos in Kino-Previews und baten die Zuschauer nach der Vorstellung, entsprechend ihres Filmguckvergnügens den Abend zu honorieren.

Das Künstlerhaus Schwankhalle testete bei den „Theater für alle“-Festivals eine verschärfte Variante: Ohne Vorgaben bestimmte jeder Zuschauer selbst, womit und wie viel er bezahlt. Herzlicher Applaus, klare Kritik, harte Euro oder warmer Schokoladenkuchen – das waren gern genommene Währungen: Give as much as you can! Die Differenz hätten der Senator für Kultur und die Sponsoren der Schwankhalle bezahlen müssen, die Arbeit ging aufs Haus.

Die Idee klingt charmant – und stellte sich sogar als praktikabel heraus: Alle Kosten konnten gedeckt, alle Honorare bezahlt werden, der Kultursenator musste keinen Cent extra zuschießen. Die Schwankhallenmacher wurden so ermutigt, die Preisgestaltung komplett aufzubrechen: Ob Konzert, Theater, Lesung, Party – für alle Veranstaltungen galten anderthalb Jahre lang vier frei wählbare Ticketkategorien.

20 Euro wurde als „Normalpreis“ angeboten, 10 Euro zahlten alle, die sich für ermäßigungsberechtigt hielten, weil sie wenig Geld für Kultur zur Verfügung hatten. Mäzene durften 100 Euro („Ticket To The Moon“) hinterlegen, 30 Euro war der Soli-Preis und für 3 Euro gab es das Kulturticket – ohne dafür einen Armutsausweis vorzeigen, sich also als Arbeitssuchender, Sozialhilfeempfänger, Student, Schüler, Asylbewerber, Heimbewohner, Rentner, Wohngeldbezieher outen zu müssen.

Eine vorbildlich Aktion! Gerade weil auch Kunstinteressierte davon profitierten, die keine Bescheinigung ihrer prekären Verhältnisse besaßen. „Das Preissystem hat spielzeitübergreifend funktioniert“, resümiert Öffentlichkeitsarbeiterin Kathrin Schäfer, „wir hatten nicht weniger Einnahmen als zuvor und mehr spontan vorbeischauendes Publikum. Aber gerade die Agenturen der Popmusiker hatten häufig Schiss, nicht auf ihre Kosten zu kommen. Da war viel Überzeugungsarbeit nötig.“

Allerdings: „Es waren gerade die Leute, denen man ansah, dass sie keine Liquiditätsprobleme haben, die möglichst für lau ein Ticket wollten“, sagt Schäfer. „Problematisch“ seien auch die stets sehr langen Schlangen an der Kasse gewesen, weil die Preisgestaltung immer neu erklärt werden musste.

Die meisten Besucher hätten es aber gut gefunden, beim Bezahlen Verantwortung zu übernehmen, sagt Schäfer. Sogar das Nachzahlen funktionierte. „Wem etwas besonders gut gefiel, der steckte Geld in die Spendenbox, wenn er meinte, an der Abendkasse zu wenig bezahlt zu haben.“

Die im Sommer angetretene neue künstlerische Leitung des Hauses hat das Experiment „wohlwollend aufgenommen“, sagt Programmchefin Pirkko Husemann. Wer mehr habe, zahle mehr und ermögliche damit anderen den günstigeren Zugang: „Dieses Solidaritätsprinzip ist eine großartige Sache.“ Störend aber sei die Marktlogik des Dumpings. „Im Restaurant kann ich hier mittags entscheiden, ob mir das Risotto sechs oder neun Euro wert ist. Genau so etwas will ich nicht an der Schwankhallen-Kasse. Mich auch nicht nach einer Veranstaltung für diese rechtfertigen müssen gegenüber Leuten, die ihr Geld zurück wollen, weil es ihnen nicht gefallen hat.“

„Ich will mich auch nicht nach einer Veranstaltung für diese rechtfertigen müssen gegenüber Leuten, die ihr Geld zurück wollen, weil es ihnen nicht gefallen hat“

Pirkko Husemann, Programmchefin der Schwankhalle

Die Schwankhalle ist darum zu fixen Preisen, einem festgesetzten monetären Wert der Kunst zurückgekehrt. An der Einnahmesituation habe sich nichts geändert, sagt Husemann: „100 Euro legte früher keiner auf den Tisch, von den 30-Euro-Tickets wurden nur ganz wenige verkauft und drei Euro zahlte auch kaum einer. So hatte sich der Durchschnittseintrittspreis einst bei 9,50 Euro eingependelt, genau das nehmen wir derzeit auch ein.“

Auch andere etablierte Kultureinrichtungen in Bremen experimentieren mit Eintrittspreisen: Das Gerhard-Marcks-Haus gewährte bis zur Umbauphase jeden ersten Donnerstag im Monat kostenlosen Zugang. Und das Museum Weserburg versucht derzeit der Konkurrenz des benachbarten Weihnachtsmarktes zu trotzen – mit dem Versprechen, jeder dürfe seinen Eintrittspreis selbst bestimmen. Erfahrungen? „Wir waren gut besucht und haben keine finanziellen Verluste gemacht am ersten Adventssonntag“, sagt Pressesprecher Dietrich Reusche. Jens Fischer