Komödie „Mistress America“: Das Ich der eigenen Likes
Nach „Frances Ha“ ist „Mistress America“ die zweite enge Zusammenarbeit zwischen Noah Baumbach und Greta Gerwig. Ein gelungener Film.
Auf den ersten Blick lebt Brooke (Greta Gerwig) den amerikanischen Traum in der New Yorker Thirtysomethings-Variante: Demonstrativ selbstbewusst saugt sie den Honig des Lebens auf, sprudelt über vor Ideen, pflegt ihre populären Social-Media-Profile und bleibt, trotz allem Eigenblutdoping-Gedöns, noch so cool, dass sie bei einem Konzert ganz ohne Yolo-Getue mit auf die Bühne klettert. Bei der jungen Tracy (Lola Kirke) – noch keine zwanzig und als Literaturstudentin so frisch in der Stadt wie orientierungslos, sozial überfordert und prokrastinationsanfällig – kann sie damit prächtig punkten.
Brookes Vater und Tracys Mutter wollen heiraten. Aus den Millennials, die dennoch gefühlt eine Generation trennt, macht das quasi Geschwister. Auch wenn das Verhältnis bald unterschwellig vampirisch wird: Brooke braucht Tracy fürs Ego – und Tracy sieht in Brooke Stoff für ihre ersten literarischen Versuche.
Brookes Leben ist vor allem eine prächtig vermarktete Fassade – mit deutlich sichtbaren Rissen. Am Telefon schlägt sie den Times Square als Treffpunkt vor: „Weißt du, wo der ist?“ Als ob der Times Square ein klandestiner Hipster-Szenetreff wäre. Ihre positive Einstellung zum Leben markiert sie in Sätzen, die so aufgesagt wirken wie die Maßregelungen, mit denen sie Tracy zuweilen bedenkt.
Überhaupt, was sie nicht alles ist, was sie noch werden will, was sie für Ideen hat: Von einer Musikshow über eine Fernsehserie bis hin zum Restaurant mit Manufaktum-Gediegenheit, für die ihr allerdings in letzter Sekunde der Investor abspringt. Überhaupt, wie ihr niemand je eine Chance gibt: Eine alte Freundin habe ihr vor Jahren erst den Verlobten ausgespannt und sei dann auch noch mit Brookes Designideen reich geworden. Die tollen Wohnungen, durch die Brooke Tracy schleppt, sind nicht ihre – Brooke ist faktisch broke, pleite.
Konfrontation mit den eigenen Lebenslügen
Nach dem Schwarz-Weiß-Indie-New-York-Film „Frances Ha“ (2012) ist „Mistress America“ die zweite enge künstlerische Zusammenarbeit zwischen Noah Baumbach und Greta Gerwig. In beiden Filmen geht es darum, sich in New York zu verwirklichen, beide kennzeichnet eine Bewegung aus der Stadt heraus, bei der es zur Konfrontation mit den eigenen Lebenslügen kommt.
Doch war Gerwig in „Frances Ha“ noch eine untermotivierte, vielleicht noch den Vorstellungen einer New Yorker Boheme verhafteten Drifterin, stellt Brooke nun gewissermaßen die Kehrseite dar: Sie spielt das Spiel des Spätkapitalismus, wenn auch kläglich, mit, will ein Stück vom Kuchen – und setzt sich dafür eine Persönlichkeit wie aus dem Katalog zusammen: Interessen, Lebensweisheiten, Vorlieben und Meinungen.
Einen beträchtlichen Teil ihres Witzes zieht diese ziemlich gelungene Komödie daher auch daraus, dass die Leute noch nicht mal aneinander vorbeireden: Die Dialoge sind geradezu erratisch perforiert. Auch wenn die sozialen Medien als Kommunikationsparadigma der Gegenwart kaum ins Bild rücken, erinnert das an die Gesprächskultur im Web, wo der Austausch oft reflexhaft geschieht, Multitasking-Kompetenzen erfordert und es oft um bloße Präferenzartikulationen statt um tatsächliche Debatten geht: Die Summe der eigenen Likes als Ersatz eines Subjekts, das sich in der Überfülle an Lebensstiloptionen, die der Spätkapitalismus bietet, gar nicht erst ausprägt, aber als Marke umso aggressiver beworben werden muss.
„Mistress America“. Regie: Noah Baumbach. Mit Greta Gerwig, Lola Kirke u. a. USA 2015, 85 Min.
Man könnte Brooke recht modisch diagnostizieren: Narzissmus, Hysterie, Borderline. Schön an Noah Baumbachs und Greta Gerwigs so lebenskluger wie witziger und stellenweise grandios abstruser Komödie ist, dass sie weder pathologisiert noch richtet. „Mistress America“ ist der Titel einer Fernsehserie, die sich Brooke einmal ausmalt. Darin geht es geht um eine Superheldin, die die Essenz Amerikas darstelle.
Tracy entlehnt den Titel für ihre erste Kurzgeschichte, die von Brooke handelt – einer Sinnfigur unserer Tage. Die zeigt sich verletzt, als sie ihr Leben als literarische Ressource missbraucht sieht. In Interviews spricht Gerwig von ähnlichen Reaktionen ihrer Freunde auf „Frances Ha“. „Mistress America“ ist auch ein Film über die Selbstverständlichkeit, wie im Spätkapitalismus Alltag und persönliches Netzwerk zum kulturellen Kapital und die eigene Persönlichkeit zur Marke werden.
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