AUSBLICKE Das neue Jahr hat einiges zu bieten: Eine neue Landesregierung wird gewählt, Berlin baut munter weiter an sich selbst, und ein paar TopmusikerInnen kommen auch an die Spree
: Stadt von morgen

Foto: Andreas Teich/Caro

Rechte mischen mit

Na klar, Berlin ist nicht Sachsen. Die Mehrheit der BerlinerInnen sieht laut Umfrageergebnissen Flüchtlinge eher als Bereicherung denn als Belastung. Demons­triert die NPD vor einer Turnhalle, gesellt sich kaum einer dazu. Und wissen Sie vielleicht, wie der Vorsitzende des AfD-Landesverbands heißt? Nein? Hat ja auch wenig von sich hören lassen bisher.

Trotzdem: Die Gefahr von rechts wächst, auch hier. 79 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gab es zwischen Januar 2014 und Oktober 2015 nach Zählung des Verfassungsschutzes. Bemerkenswert: 80 Prozent dieser Taten wurden im Ostteil der Stadt verübt, mehr als ein Drittel allein in Marzahn. Dort, wo die Zivilgesellschaft schwach ist, wo rassistischer Hetze wenig entgegengesetzt wird, wo sich FlüchtlingshelferInnen und AntifaschistInnen über Mangel an Unterstützung beklagen, haben Neonazis leichtes Spiel – und produzieren Erfolgserlebnisse, die für Zulauf in der Szene sorgen.

Gleichzeitig ist klar: Der Wahlkampf in diesem Jahr wird nicht ohne rechtspopulistische Töne auskommen. Zwar befindet sich die Berliner AfD nach wie vor in einer Findungsphase. Dennoch landet sie in den meisten Umfragen bei über 5 Prozent. Falls es der Partei bis zum Wahlkampf gelingt, sich sprechfähig aufzustellen, könnte dieser Wert noch deutlich steigen. Und auch der NPD, die seit Jahren auf das Thema Flüchtlinge setzt, spielen die Bilder einer heillos überforderten Stadt in die Hände.

Seit fast drei Jahren weisen ExpertInnen nun schon darauf hin, dass rechte Kräfte in Berlin wieder stärker werden, doch immer noch wird das Problem von vielen nicht wahrgenommen – weil Marzahn weit weg ist von Kreuzberg und Mitte, weil Rechtsextreme als „besorgte Anwohner“ verharmlost werden. 2016 könnte da das Jahr der Entscheidung werden: Steigt die Zahl der Anschläge weiter? Geben Nazis in manchen Ostkiezen bald komplett den Ton an? Gelingt der AfD der Einzug ins Parlament? Eins ist klar: Die Antwort auf diese Fragen hängt davon ab, wie der Rest der Stadt sich verhält. Malene Gürgen

Bau auf!

Vor ein paar Jahren hätte man über diesen Satz noch gelacht: „Der Wohnungsbau ist zukünftig der Motor der Berliner Stadtentwicklung.“ Heute wird der zuständige Senator Andreas Geisel (SPD) nicht müde, das zu verkünden. Die Zeiten des Leerstands oder gar des Abrisses sind vorbei. 2016 soll das Jahr des Wohnungsbaus in der Stadt werden. Und auch der soziale Wohnungsbau, der 2003 vom Senat beerdigt wurde, erlebt eine Renaissance.

Dass Berlin viele neue Wohnungen benötigt, hat mit dem rasanten Wachstum der Berliner Bevölkerung zu tun. Über 100.000 Neuberliner haben sich 2015 hier niedergelassen, Zehntausende Flüchtlinge und Asylsuchende hat die Stadt aufgenommen. 250.000 neue Arbeitsplätze sind seit 2005 an der Spree entstanden. Prognosen des Senats gehen davon aus, dass bis 2030 zusätzlich 400.000 Menschen auf den Wohnungsmarkt drängen – die Dimension einer Großstadt also.

Bau auf! lautet daher die Losung. Gab es 2015 noch circa 12.000 Baugenehmigungen in der Stadt, so sollen im kommenden Jahr 40.000 öffentlich und privat finanzierte Wohnungen entstehen. Das ist nicht nur viel Beton, der 2016 verbaut wird. Damit verbinden sich auch Träume vom „Wohnraum, der bezahlbar ist“, wie der zuständige Staatssekretär für den Wohnungsbau, Engelbert Lütke Daldrup, betont.

Berlin legt deshalb ab 2016 Förderprogramme für den sozialen Wohnungsbau mit einem Gesamtvolumen von 200 Millionen Euro auf. „Geplant ist im kommenden Jahr, 3.000 preiswerte Mietwohnungen mit diesen Mitteln zu realisieren“, rechnet Lütke Daldrup vor. 20.000 bis 32.500 Wohnungen sollen es in den nächsten 15 Jahren werden, die aus dem Neubaufonds Zuschüsse erhalten.

Die schöne neue Welt wird aber nicht nur mit öffentlichen Geldern zu kriegen sein. Auch private Bauherren werden für die 40.000 neuen Wohnungen auf den mehrheitlich innerstädtischen Bauflächen gebraucht. Das birgt Sprengstoff. Damit jene nicht nur Ghettos für Wohlhabende errichten und Berlin wieder mutiger mit moderner Wohnungsbauarchitektur umgeht, wollen das Land und die Bezirke „die bauliche und soziale Mischung“ besser steuern.

Und was geschieht mit den großen Flächen wie in Elisabeth-Aue, Tegel oder Lichterfelde-Süd, wo jeweils 5.000 Wohnungen und mehr entstehen sollen? Die lassen noch auf sich warten. 2016 wächst dort erst mal weiter das Gras. Rolf Lautenschläger

SPD auf Partnersuche

Auf den ersten Blick scheinen in der Berliner Politik für 2016 zwei Dinge sicher: dass Michael Müller auch nach der für September geplanten Abgeordnetenhauswahl Regierender Bürgermeister bleibt. Und dass es spätestens dann vorbei ist mit der rot-schwarzen Koalition, jenem Bündnis, in das Müller-Vorgänger Klaus Wowereit die SPD 2011 drängte und das zuletzt mehr schlecht als recht funktionierte.

Die zweite Annahme könnte sich allerdings als Wunschdenken erweisen. Die jüngste Wahlumfrage zeigt: Es reicht demnach zwar noch für Rot-Rot, die bei den Sozialdemokraten derzeit favorisierte Koalition. Aber die beiden Parteien haben in der Umfrage trotz jeweils guter Werte zusammen keine Mehrheit der Stimmen, sie kommen nur auf 45 Prozent. Dass das trotzdem eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus bedeuten würde, liegt daran, dass derzeit wegen der Fünfprozenthürde viele Stimmen unter den Tisch fallen.

Das kann aber bis zum für den 18. September fest­gelegten Wahltermin ganz anders sein. Die AfD kommt in der erwähnten Umfrage mit 4 Prozent der Hürde schon sehr nahe. Und auch die FDP, die 2011 aus dem Abgeordnetenhaus flog, steht wieder bei immerhin 3 bis 4 Prozent. Läuft es bei der Landtagswahl im Frühjahr in Rheinland-Pfalz gut für die Liberalen, könnte die FDP auch im September in Berlin eine Chance haben.

Dann aber dürfte es mit den derzeit erfragten Werten nicht für Rot-Rot reichen – und auch nicht für Rot-Grün. Dabei liegen sowohl SPD (30 Prozent) als auch Grüne (18 Prozent) aktuell über ihren Wahlergebnissen von 2011. Auf viel mehr können sie nicht hoffen. Michael Müller hätte dann nur zwei Alternativen: ein rot-rot-grünes Bündnis wie in Thüringen, bloß unter sozialdemokratischer Führung; oder weiterzumachen mit der CDU, trotz aller Querelen, nach dem alten Sepp-Herberger-Motto „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“.

Dass sich Müller dabei für Rot-Rot-Grün entscheidet, ist so sicher nicht. Dreierbündnisse sind nochmal schwieriger zu steuern als normale Koalitionen. Außerdem gäbe es für die SPD weniger Posten im Senat, weil die sich nicht einfach nach Prozenten aufteilen ließen.

Es kann gut sein, dass die Monate bis zur Wahl zu einer Art Lackmustest für Rot-Schwarz werden. Schafft es die kriselnde Koalition, trotz aller Probleme und zunehmender persönlicher Spannungen bis zur Wahl zusammenzubleiben, dann dürfte es Michael Müller zumindest eine Überlegung wert sein, diese Konstellation fortzuführen. Zerbricht die Koalition hingegen vorzeitig, ist Rot-Rot-Grün die wahrscheinlichste Variante. Stefan Alberti

Die Piraten saufen ab

Im Berliner Wahlkampf 2011 warb die Piratenpartei mit einem Plakat um Wähler, auf dem stand: „Wir sind die mit den Fragen. Ihr seid die mit den Antworten.“ Der Partei ging es um Bürgerbeteiligung, um direkte Demokratie, um das Versprechen, neue Verfahren zu entwickeln. Es war der Sommer, der die Piraten kurzzeitig groß machte: Als eine Umfrage sie in Berlin plötzlich nah an der Fünfprozenthürde sah, schoss die Wählerunterstützung in die Höhe. Am Ende zog die Partei mit knapp 9 Prozent ins Abgeordnetenhaus ein – und damit erstmals in ein deutsches Landesparlament.

Im Sommer 2016 surfen die Piraten nicht mehr auf der Erfolgswelle. Sie werden sehr wahrscheinlich absaufen, die Partei dürfte den Einzug ins Abgeordnetenhaus am 18. September verfehlen. Wie der Einzug ein Signal war, wird auch der Auszug ein Signal sein – für den Untergang der ganzen Partei. Zurück bleiben Fragen: Wie, bitte, haben diese fünf Jahre das Abgeordnetenhaus und die Berliner Politik verändert, jenseits von der Flasche Club Mate, die es seit 2011 in der Parlamentskantine gibt? Und warum, bitte, geht das nun so kläglich zu Ende?

Die Berliner Piratenfraktion hat einen großen Erfolg vorzuweisen: Die 15 Abgeordneten, davon eine Frau, sind (zumindest bis jetzt) zusammengeblieben. Das gelingt Parteineulingen fast nie. Sie sind sogar zusammengeblieben, obwohl einige von ihnen die Partei verlassen haben. Und sie haben es erfolgreich geschafft, politische Schlagworte zu etablieren: Selbst die CDU redet inzwischen ab und an über Transparenz und Bürgerbeteiligung.

Sich inhaltlich zu profilieren gelang dagegen nur Einzelnen. Martin Delius ist als Chef des BER-Untersuchungsausschusses bundesweit einer der bekanntesten Piraten; Andreas Baum hat immerhin noch die lang angekündigte, aber im Detail leider schwächelnde Studie zum entgeltfreien Nahverkehr vorgelegt; Fabio Reinhardt profilierte sich mit seinem Engagement für Flüchtlinge; Christopher Lauer war immer für einen Spruch gut. Der Rest blieb blass.

Für Fraktionschef Martin Delius ist das Vermächtnis der Piraten im Parlament, dass sie viel Kleinarbeit geleistet haben, viele parlamentarische Anfragen stellten. Der grundsätzliche politische Impetus der Piraten, die Menschen als politische Wesen ernster zu nehmen, jedoch verpuffte – weil die Fraktion ihn selbst allzu schnell aus den Augen verloren hat, weil keine der anderen Parteien sich mit dieser Radikalität anfreunden wollte. Schade eigentlich. Bert Schulz

Zwischen günstig und gut

Für die Kitas dürfte 2016 zur Herausforderung werden. „Ihr Wort in Gottes Ohr“, hatte die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) im vergangenen Mai mit zusammengebissenen Zähnen in Richtung ihres Parteikollegen Raed Saleh getönt. Der Fraktionschef wollte die Elternbeiträge für die Kita komplett abschaffen – derzeit ist sie nur für Kinder ab drei Jahren beitragsfrei. Die dürftige Personalsituation wollte Saleh gleichzeitig auch noch verbessern: „Das muss beides gehen!“ Klar, vor nahenden Landtagswahlen verspricht man vieles.

Was tatsächlich geht, wird sich in diesem Jahr zeigen. Denn die Gratis-Krippe, so hat es die rot-schwarze Koalition beschlossen, kommt – und umsonst ist sie natürlich nur für die Eltern: 40 Millionen Euro sind im Haushalt 2016 dafür veranschlagt. Zwar sollen tatsächlich auch noch rund 50 Millionen Euro in Platzausbau und Personal fließen. Das reicht aber nicht, sagen Kita-Träger und Elterngremien. 75 Millionen Euro brauche es, um den ErzieherInnen-Kind-Schlüssel bei den Kleinsten wenigstens auf 1:5 zu senken, hat das Kitabündnis ausgerechnet. Derzeit liegt er bei 1:6, bundesweit mit der schlechteste Wert. Doch im Wahlkampf kommt die Gratis-Krippe natürlich allemal sexier daher als so ein Wortungetüm wie „Betreuungsschlüsselverbesserung“.

Es ist zwar fraglich, ob die Millionen, die jetzt für die kostenlose Kita vorgesehen sind, auch gleichermaßen für mehr Personal und Plätze zur Verfügung gestanden hätten. Sinnvoll wäre es allemal gewesen – wenn es Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) tatsächlich ernst damit ist, auch die wachsende Zahl der Flüchtlingskinder in die Kitas zu bringen. Zudem wird dieses Jahr auch noch die Früheinschulung für Fünfjährige abgeschafft: Mit mindestens 6.000 SitzenbleiberInnen – so viele waren es 2015 – dürfen die Kitas in diesem Jahr rechnen.

Ob die Gebührenfreiheit auch ein Schritt in Richtung Kitapflicht ist, wie die Linke mutmaßt? Denkbar jedenfalls wäre es, dass da jemand seinen ganz eigenen Masterplan verfolgt: die Gebührenfreiheit als Voraussetzung, um die Vorschule im Schulgesetz (wieder-)einzuführen. Dass Fraktionschef Saleh die Kitapflicht für ein probates Mittel hält, um Kinder aus bildungsfernen Familien frühzeitig in die Kitas zu holen, hat er bereits deutlich gemacht. Bleibt zu hoffen, dass sich dann auch genügend ErzieherInnen sinnstiftend um diese Kinder kümmern können. Anna Klöpper

Berlin rockt immer noch

Doch, Berlin rockt schon noch. Auch 2016. Das Konzert- und Musikjahr hält bereits einige Appetithäppchen bereit. Und wer weiß, was im Laufe des Jahres noch hinzukommt.

Harter Rock von alten Männern – Black Sabbath kommen auf ihrer angeblich finalen Europatour am 8. Juni in die Waldbühne. Ist allerdings leider schon ausverkauft.

Alt, männlich, schwarz gekleidet und immer noch gut sind auch The Cure, die nach langer Zeit mal wieder in Berlin gastieren. Am 18. Oktober spielen sie in der Arena am Ostbahnhof – aber auch hier gilt, dass Ticketinteressierte sich auf den gängigen Onlinebörsen oder den Schwarzmarkt stürzen müssen.

Auf Motörhead wird man diesmal vergeblich warten – auch wenn man sich sonst eigentlich Ende November ein (Eisernes) Kreuz in den Kalender machen konnte für das Motörhead-Berlinkonzert. Damit ist es vorbei: vor wenigen Tagen ist Lemmy gestorben, von Krebs hinweggerafft.

Wo die Frauen bleiben, fragen Sie sich? In der Superstar-Liga wären da Adele für jene Musikliebhaber, die es gefühliger mögen. Sie spielt Anfang Mai zwei Auftritte in der Arena am Ostbahnhof. Vielleicht aber ist der Blick in den Indie-Sektor ohnehin interessanter: da stünde gleich zu Beginn des Jahres mit der madrilenischen All-Girl-LoFi-Pop-Hoffnung Hinds (15. Januar, Lido) ein schönes Schrammelrock-Konzert alter Schule ins Haus.

Ebenfalls im Januar sind bereits zwei viel versprechende Festivals: Die Thementage „Krieg singen“ im Haus der Kulturen der Welt (14.–17. Januar) können unter anderem mit der Nordkorea-erfahrenen Band Laibach (Slowenien) aufwarten, kurz darauf finden schon die Dauerbrenner CTM Festival (29. Januar–6. Februar) und Transmediale (3.–7. Februar) statt.

Auch bereits zu Jahresbeginn dürfen wir einen großen Exberliner beglückwünschen: David Bowie wird am 8. Januar 69 Jahre alt. Das allein wäre noch nicht erwähnenswert, aber er beschenkt sich selbst und uns alle: Sein neues Album „Blackstar“ ist wohl das beste Bowie-Werk seit langer, langer Zeit. Jens Uthoff