„Hier kann man mehr als anderswo nach seinen eigenen Regeln leben“

Das bleibt von der Woche Das Liga-Konzert im Bi Nuu wird zum neuen Klassiker, der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg muss sein Datenleck beheben, die taz-Druckerei Henke stellt ihren Betrieb ein und Finanzsenator Kollatz-Ahnen denkt laut über den Sehnsuchtsort Berlin nach

Charmant dilettantische Gentlemen

Konzert im Bi Nuu

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen ist der neue Klassikerzwischen den Jahren

Scheitern mit Stil, wie das geht, das lehrt einen recht gut die Hamburger Band Liga der gewöhnlichen Gentlemen, und von diesem Wissen zehrt man hoffentlich noch im Jahr 2016. Der Vorgänger der Liga war die Band Superpunk, einst ein großes Versprechen des deutschsprachigen Indiepops der Marke Hamburger Schule inklusive Soul, Haltung und Witz. Aber die Band zerbrach und Sänger Carsten Friedrichs machte unter neuem Bandnamen einfach weiter. Mit derselben Mischung aus Herz, Charme und Dilettantismus, mit der man einfach nie so groß wird wie die Toten Hosen.

Auch wenn die Platten der Liga niemand kauft, in Berlin hat die Band es jetzt immerhin geschafft, eine ganz eigene Tradition zu errichten. Was früher das Neujahrskonzert in der Volksbühne war (das in diesem Jahr von der bestimmt tollen, aber viel zu hippen Band Algiers bestritten wurde), ist heute das Kurz-vor-Silvester-Konzert der Liga der gewöhnlichen Gentlemen im Bi Nuu am Schlesischen Tor. Vor zwei Jahren spielten die Hamburger bereits zur selben Zeit am selben Ort und nun wieder, das muss jetzt einfach mal reichen, um sagen zu können: Vergiss die Volksbühne, die Gala der Hobbypopper Liga der gewöhnlichen Gentlemen im Bi Nuu zwischen den Jahren ist der neue Klassiker.

Der Laden war jedenfalls rappelvoll, vor der Bühne versammelte sich Prominenz wie die Mitglieder der Band Isolation Berlin und auf der Bühne waren Gaststars wie Jan Müller zu sehen. Der spielt sonst Bass in Deutschlands seit Jahren erfolgreichster und bekanntester Indieband, von Carsten Friedrichs wurde er aber nur als der Typ von Das Bierbeben vorgestellt. Das hatte Stil, das war bewegend, und an selber Stelle, zur selben Zeit, mit derselben Band, wird es bald bestimmt sogar noch besser. Andreas Hartmann

Jetzt ist Transparenz angesagt

Datenleck im Nahverkehr

Es ist ein echtes Verdienst des Fahrgastverbands, die Gefahr erkannt zu haben

Wie groß war es denn nun, das virtuelle Leck in den elektronischen VBB-Tickets, das der Fahrgastverband Igeb am vergangenen Montag aufdeckte? Nur ein kleines Loch, durch das ein paar Kontrolldaten tröpfeln, oder eine offene Flanke, aus der komplette Bewegungsprofile rauschen?

Immerhin: Die BVG hat sofort reagiert, einen Fehler eingeräumt, Besserung gelobt und die in vielen Bussen installierten Lesegeräte vorläufig abgeschaltet. Passiert ist ohnehin noch nicht viel, weil der Einbau der Kontrolltechnik so schleppend vorangeht und deshalb bislang niemand gezwungen war, sie zu benutzen. Und wer kein Abonnement sein Eigen nennt oder selten mit dem Bus fährt, den wird die Problematik erst einmal gar nichts angehen.

Trotzdem ist es gut und ein echtes Verdienst der Igeb, dass die Gefahr unkontrollierter Datensammelei erkannt wurde. Zumal in diesem Fall nicht nur Behörden und Firmen Zugriff gehabt hätten, sondern jeder, der – warum auch immer – gerne mal in Erfahrung brächte, wo die Ehefrau oder der Kollege in den vergangenen Tagen so unterwegs waren. Genügt hätte dazu eine Handy-App.

Am besten sollte sich auch der Berliner Datenschutzbeauftragte noch einmal ein Bild von der Lage machen. Denn auch wenn die E-Fahrkarten künftig sauber bleiben – die Bewegungsdaten werden bald massenhaft anfallen, und zur Vertrauensseligkeit gibt es keinen Anlass mehr: Der Verkehrsverbund hatte immer wieder im Brustton der Überzeugung getönt, die Daten könnten technisch gar nicht erhoben werden. Pustekuchen!

Dafür aber, dass irgendwo anders weiterhin Bewegungsprofile entstehen, spricht schon die Notwendigkeit, das System gegen Angriffe zu verteidigen: Sonst könnten Karten geklont werden, ohne dass dies jemals auffallen würde – etwa weil dieselbe Kartennummer gleichzeitig in Spandau und Lichtenberg eincheckt.

Davon, wie transparent die Verkehrsunternehmen und ihr Verbund mit dieser Situation umgehen, hängt jetzt das künftige Vertrauen ihrer Kunden ab. Claudius Prößer

Nun steht
die Maschine
still

Ende der Druckerei Henke

„Finale taz“ steht am Mittwochabend auf den Bildschirmen der Monitore

Die Druckmaschine wartet auf ihren Einsatz. Die 1,26 Meter breite Papierbahn ist straff gespannt. Die Behälter mit der Farbe sind bis zum Rand gefüllt. Die Drucker hängen die Platten mit den Zeitungsseiten in die Walzen, dann bekommt die Maschine per Knopfdruck das Startsignal. Vordergründig ist alles wie immer. Aber der Schein trügt. „Finale taz“ steht am Mittwochabend auf den Bildschirmen der Monitore. Es ist das letzte Mal, dass die taz in der Henke-Druckerei in Hohenschönhausen vom Band läuft.

Mehr als 25 Jahre hat der Betrieb die Berliner Ausgabe der taz, die auch in den östlichen Bundesländern erscheint, gedruckt. Zum Jahresende 2015 machte Henke-Pressedruck nun dicht. Digitalisierung und sinkende Auflagen haben der Firma, die zuletzt nur noch 20 Mitarbeiter zählte, ein Ende gesetzt.

Um die Jahrtausendwende ging es dem Betrieb noch blendend. Der Alleinunternehmer und Altlinke Rolf-Friedrich Henke kam mit der Druckerei zu sehr viel Geld. Vielleicht wäre die Firma zu retten gewesen, wenn Henke frühzeitig – so wie in seiner zweiten Firma in Köln – auf Magazindruck umgesattelt hätte. Aber es ist nicht das, was man ihm jetzt übel nimmt. Erst nach zähem Kampf war Henke bereit, seinen Mitarbeitern Abfindungen zu zahlen.

Die taz spendierte am Mittwoch eine Kiste Panter Bräu. Doch die Stimmung war nicht nach Feiern. Man sei traurig um den Zusammenhalt, der nun verloren gehe – aber irgendwie auch froh, dass die Hängepartie ein Ende habe, sagte eine Technikerin. Die Chancen der meisten Angestellten, anderswo im Druckgewerbe unterzukommen, tendieren gen null.

Auch für die taz hat die Schließung Henkes Konsequenzen: Weil das Format der taz in Berlin sonst niemand bedient, wird die Ost-Ausgabe seit Freitag in der Nähe von Schwerin gedruckt. Manche Seiten des Berlin-Teils haben deshalb einen früheren Redaktionsschluss.

Und was wird nun aus der großen Druckmaschine in Hohenschönhausen? Es gebe Verhandlungen – mehr wollte der technische Leiter nicht sagen. Henke selbst ließ sich am letzten Tag nicht bei den Arbeitern blicken. Nur von den Büroangestellten hat er sich verabschiedet. Plutonia Plarre

Bist du verrückt, geh nach Berlin

Die Stadt als Failed State?

Regeln gibt es ja. Doch es ist schlicht keiner da, der sie kontrolliert

Es ist erstaunlich, wie wenig Berliner Politiker oft von Berlin verstehen. Zum Beispiel Matthias Kollatz-Ahnen: Der Spiegel hatte behauptet, der Stadtstaat sei ein „Failed State“. In einem Interview mit dem Neuen Deutschland reagierte der Finanzsenator darauf am Montag mit einer eigenartig kategorischen Aussage. Berlin sei „ein Sehnsuchtsort der Jugend“, konterte der Sozialdemokrat, und weiter: „Es gibt keinen Failed State, der ein Sehnsuchtsort für die Jugend ist.“

Nun finden sich bestimmt viele Argumente gegen die Position des Spiegels. Berlin ist weder der Südsudan noch der Irak. Doch nimmt man die These so, wie sie gemeint war – Berlin versagt, weil die Verwaltung nicht mehr funktioniert –, erscheint Kollatz-Ahnens Argument komplett ahnungslos und grundfalsch.

Denn was zieht junge Menschen nach Berlin? Doch gerade, dass man hier mehr als anderswo nach seinen eigenen Regeln leben kann. Und das nicht erst seit gestern, wie der über hundert Jahre alte Gassenhauer „Du bist verrückt, mein Kind, du musst nach Berlin“ nahelegt. In Berlin geht Radfahren auf dem Gehweg, Biertrinken in der U-Bahn, Partys feiern auf der Straße.

Nicht deshalb, weil es hier nicht verboten wäre, die Regeln gibt es ja. Doch es ist schlicht keiner da, der sie kontrolliert. In diesem Sinne ist es also gerade das Versagen des Staates, das Berlin zu einem „Sehnsuchtsort der Jugend“ macht: Deshalb kommen Jugendliche in die Hauptstadt, statt nach Stuttgart zu ziehen.

Offenbar hat die Jugend auch ein feineres Näschen als der kategorische Finanzsenator dafür, bis wohin solches Staatsversagen lässig und cool, ab wann es aber nicht mehr hinnehmbar ist. Viele BerlinerInnen sind angesichts der Vorteile versagender Behörden bereit, auch mal acht Wochen auf einen Bürgeramtstermin zu warten. Aber sie wollen nicht zusehen, wie schutzsuchende Menschen auf der Straße vor Behörden hungern und frieren.

Der Finanzsenator hat sich mehr als viele andere, eher zuständige Regierungsmitglieder um die Abhilfe der Flüchtlingsnöte verdient gemacht. Seine Interview-Aussage ist in ihrer Absolutheit deshalb umso unerfreulicher: Kritik auf diese Weise pauschal vom Tisch zu wischen steht Berliner StaatsvertreterInnen in der aktuellen Situation gar nicht gut an. Alke Wierth