„Es fehlt an einer Ermutigungskultur“

HOCHSCHULE Viele Frauen promovieren – und steigen dann aus der Wissenschaft aus. Karriereberaterin Anne Löchte über „männlich geprägte Netzwerke“ an den Universitäten, und warum Frauen lernen müssen, dass es nicht nur auf Exzellenz und Fleiß ankommt

Dass Frauen in der Wissenschaft oft außen vor sind, hat strukturelle Gründe Foto: Hermann Bredehorst/Polaris/laif

Interview Anna Klöpper

taz: Frau Löchte, vor drei Jahren hat eine Bekannte ihre Promotion in Sprachwissenschaften begonnen und gleichzeitig eine Tochter bekommen. Die Promotion schließt sie demnächst erfolgreich ab. Eine Postdoc-Stelle sucht sie vergeblich. Typisch Frau?

Anne Löchte:Statistisch gesehen durchaus. In der Postdoc-Phase gehen der Wissenschaft die Frauen verloren. Der Anteil der Professorinnen liegt derzeit bei nur rund 20 Prozent, bei den Spitzenprofessuren ist er sogar noch geringer.

Woran liegt ’s? Männer werden in dieser Zeit auch Vater – und trotzdem Professor.

Da spielt aber nicht nur die Kinderfrage mit rein. Viel entscheidender sind die traditionell männlich dominierten Strukturen und Netzwerke, die es an den Unis gibt – je höher man nach oben kommt, desto ausgeprägter sind sie.

Die Gleichstellung sei „in den Köpfen angekommen“, sagte die Zentrale Frauenbeauftragte der HU kürzlich in einer Zwischenbilanz zur Exzellenzinitiative, die insbesondere den Spitzennachwuchs fördern will. Für den wissenschaftlichen Alltag gilt dieses Fazit offenbar noch nicht.

Ich denke, es ist inzwischen ein Bewusstsein dafür da, dass das Thema Aufmerksamkeit braucht. Aber die gezogenen Konsequenzen reichen noch lange nicht aus. Ich war kürzlich in einer Graduiertenschule der Biologie: Da sind Wissenschaftlerinnen mit Kind absolut unüblich – allein schon, weil sich Schwangerschaft und Labor so schlecht miteinander vereinbaren lassen. Als Schwangere hat man da gleich Beschäftigungsverbot. Leider gibt es kaum Lösungsansätze, damit umzugehen.

Sie schlagen in einem Bericht an Ihren Arbeitgeber unter anderem flexible Übergangsstipendien für „akute Notlagen“ vor. Nicht nur für Frauen sind ja im Postdoc-Bereich die kurzen Befristungen der Forschungsstipendien ein Problem: Auch die Postdoc-Stellen an Ihrer Graduiertenschule sind zum Teil nur Halbjahresverträge.

Das stimmt, es gibt zu wenige Stellen, die eine gewisse Planungssicherheit erlauben – und damit auch die Möglichkeit, sich auf das Wesentliche, nämlich die Forschung, zu konzentrieren. Zu wenige Juniorprofessuren haben einen Tenure Track, führen also auf eine reguläre Stelle hin. Letztlich bekommt nur zirka einer von drei Habilitierten eine Professur. Die anderen stehen dann mit Anfang, Mitte 40 mit leeren Händen da. Was für eine Verschwendung hochqualifizierter Arbeitskräfte!

Hochqualifizierte Arbeitskräfte, die aber doch der freien Wirtschaft zur Verfügung stehen.

Da gibt es momentan viel zu wenige qualifizierte Stellen. Die Universitäten nehmen jetzt erst langsam ihre Verantwortung wahr, Unterstützungsangebote für alternative Karrierewege zu schaffen. Davon würden im Übrigen auch die Frauen besonders profitieren. Wenn sie wissen, es gibt attraktive Möglichkeiten neben der Professur, nimmt das den Druck. Denn viele Frauen kommen mit dem Unsicherheitsfaktor, den eine wissenschaftliche Karriere bedeutet, weniger gut klar als Männer.

Und da wären wir doch wieder bei der Kinderfrage, oder? Wenn mit Anfang, Mitte vierzig das nächste halbe Jahr immer noch im Ungefähren liegt, wird ’s schwierig.

Anne Löchte

Foto: Anika Buessemeier

ist Gleichstellungsbeauftragte der Berlin School of Mind and Brain, die Teil der Exzellenzinitiative der Humboldt-Uni Berlin ist. Sie hat vier Kinder.

Nicht zuletzt fühlen sich Frauen, wenn die Kinder da sind, immer noch hauptverantwortlich – da kommt nach wie vor auch ein moralischer Druck aus der Gesellschaft, dass in erster Linie die Frau für die Kinder zuständig ist.

Was ist mit den Frauen, die sich von der Kinderfrage nicht verunsichern lassen wollen?

Ich denke, ganz grundsätzlich fehlt es ab der Postdoc-Phase auch an positiven Rollenvorbildern. Es fehlt an einer Ermutigungskultur für Wissenschaftlerinnen.

Stichwort männlich geprägte Netzwerke.

Genau. Man rekrutiert gern unter seinesgleichen. Da spielt durchaus auch das Geschlecht eine Rolle.

Sie sagen also, es gibt unbewusste Diskriminierung von Entscheidern, die eben meist männlich sind?

Ja, ich würde da keine Absicht unterstellen. Ich erlebe auch immer wieder, dass Männer sich viel selbstbewusster verkaufen als Frauen. Wenn ich einen Doktoranden frage, wo er sich in einigen Jahren sieht, sagt der mit breiter Brust: „Ich will Professor werden.“ Punkt. Von den Frauen höre ich oft: „Na ja, es macht mir ja schon Spaß. Aber bin ich auch gut genug?“ Das kommt als Unsicherheit an. Da müssen die Frauen lernen zu sagen, was sie wollen. Und die Universitäten wiederum müssen die Frauen stärker ermutigen und in ihren Fähigkeiten bestärken.

Vielleicht muss man aber auch akzeptieren, dass es für die Karriere und die Top-Positionen manchmal nötig ist, sich gezielt gegen Kinder zu entscheiden – viele Männer setzen da ja auch ganz klar Prioritäten, oder?

Das Bund-Länder-Programm gibt es seit 2005. Die Humboldt-Universität zu Berlin ist sei 2012 „Elite-Universität“. Bis Oktober 2017 bekommt sie Fördermittel für ihr „Zukunftskonzept“: Die Schlagwörter sind Gleichstellung, Internationalisierung und fakultätsübergreifende Forschung in sogenannten Exzellenzclustern.

Das Caroline-von-Humboldt-Programm ist das Aushängeschild der „Gleichstellungsmaßnahmen“. Unter anderem beinhaltet es eine 50-Prozent-Frauenquote für Postdoc-Sti­pen­dien und die mit 80.000 Euro dotierte – und auf ein Jahr be­fristete – Caroline-von-Humboldt-Professur. (akl)

Sicher muss jedem klar sein, dass unbedingter Wille dazugehört, wenn man sich im Wissenschaftsbetrieb durchsetzen will. Gleichzeitig halte ich es für gefährlich, das Problem an die Frauen zu delegieren. Es muss sich strukturell etwas ändern. Vereinbarkeit von Forschung und Familie ist durchaus möglich, wenn das gewollt wird. Wir haben eine Doktorandin, die mit vier Kindern an unsere Graduiertenschule gekommen ist. Die hat sich das zugetraut, weil wir ihr gesagt haben: Wir sind überzeugt, dass du es schaffen kannst, wir unterstützen dich ideell und finanziell. Auch eine unserer Professorinnen hat zwei kleine Kinder. Die teilt sich die Familienarbeit aber auch gleichberechtigt mit ihrem Partner, das ist eine wichtige Vor­aussetzung.

Zwei schöne Beispiele. Trotzdem: Ständig auf Konferenzen präsent sein, befristete Forschungsstellen, die auf Schwangerschaft keine Rücksicht nehmen – das ist nun mal nicht familienfreundlich.

Natürlich, da muss man auch ehrlich zu sich sein und sich fragen: Will ich mir das antun? Was ich aber sagen will, ist: Wissenschaft und Familie lassen sich prinzipiell sehr wohl vereinbaren, wenn von institutioneller Seite der Wille dazu da ist, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Hier an der Graduiertenschule geben wir den Frauen gezielt die Möglichkeit, sich auf Konferenzen zu präsentieren und in Netzwerkstrukturen zu bringen. Zwei unserer ehemaligen Doktorandinnen haben inzwischen eine Professur.

Meine Bekannte sagte mir, sie habe über die Organisation von Kind und Promotion vergessen, das Danach zu organisieren. Ein typischer Fehler?

Ich sage den Promovierenden immer, wie wichtig es ist, Prioritäten zu setzen. Am Ende werden nämlich nicht nur Fleiß und Exzellenz belohnt – sondern vor allem auch die, die sich zu präsentieren wissen. Das fällt Männern erfahrungsgemäß oft leichter als Frauen.