Mehr als „Händchenhalten“

Psychotherapeuten schlagen Alarm: Hamburg ist im Falle von Katastrophen auf die psychosoziale Betreuung von Opfern, Helfern und Angehörigen nicht vorbereitet

Rainer Richter, Präsident der Hamburger Psychotherapeutenkammer, möchte es nicht als Drohung verstanden wissen: „Irgendwann wird etwas passieren, und dann wird auch etwas passieren“, warnt er gleichwohl. „Muss denn erst einmal ein Chaos passiert sein?“ Gemeint ist die harmlos klingende „Großschadenslage“ – verwaltungstechnisch ein Unglück oder eine Katastrophe mit vielen Toten und Verletzten, Angehörigen, Rettern und Helfern, die mit Horror-Szenen konfrontiert und traumatisiert werden. „Es gibt in Hamburg keine regelhafte Einbindung in den Katastophenschutzplan“, bemängeln Psychotherapeuten, die sich heute auf einem Kongress in Hamburg mit der „Notfalltherapeutischen Versorgung“ befassen.

„Für die körperliche Versorgung von vielen Verletzten gibt es sehr viele gute Pläne, aber nicht für die psychosoziale Akutversorgung“, beklagt Gerda Krause von der Psychotherapeutenkammer. Denn in der „Notfallplanung in Hamburg“ sei derlei nicht vorgesehen. Es gebe zwar Krisen-Interventions-Teams bei einigen Hilfsorganisationen, aber keine Struktur. Das Zugunglück in Eschede etwa habe gezeigt, wie schwer es sei, psychologische Betreuung aus dem Stegreif zu organisieren, wenn hunderte von Einsatzkräften verschiedener Organisationen – Feuerwehr, Rettungsdienste und Technisches Hilfswerk – eingesetzt sind. Laut Kammerpräsident Richter wird daher angestrebt, die psychologische Notfallversorgung nun zu vereinheitlichen.

Allein in Hamburg könnten der Kammer zufolge bei einer „Großschadenslage“ 100 für eine Notfallversorgung hinreichend ausgebildete Psychotherapeuten mobilisiert werden, die auch über so genannte „Feldkompetenz“, also Erfahrungen unter Einsatzbedingungen, verfügen – wenn sie denn in den Alarmplan eingebunden wären. Denn es gehe nicht ums „Händchenhalten“ oder um paar „tröstende Worte“: In den ersten Stunden gehe es um das rasche Erkennen von beginnenden Problemen, sagt Rudolf Morawetz vom Notfallpsychologischen Dienst Österreich, „sowie um das sofortige Einleiten von Gegenmaßnahmen“.

Österreich gilt als Vorbild in diesem Bereich. Nicht, weil dort die Krankenkassen besonders spendabel seien, so Morawetz, sondern weil die Tourismusbranche nach Bus- und Tunnelunglücken Druck gemacht habe. Selbst die Haftpflichtversicherungen hätten erkannt, dass eine frühzeitige psychotherapeutische Hilfe billiger sei, als wenn später „posttraumatische Belastungsstörungen“ auftreten bis hin zum „Burn-out-Syndrom“.

„Der Katastrophenschutz muss grundsätzlich neu geordnet werden“, fordert Therapeutin Krause. „Das Wichtigste ist, dass wir in diese Pläne einbezogen werden.“ Magda Schneider