Nach dem Bruch

Tanz Nur ein Paar und sehr viel Gefühl: „Verklärte Nacht“ von Anne Teresa De Keersmaeker im Theater am Halleschen Ufer mutet etwas altmodisch an in seiner bekannten Rollenverteilung zwischen Mann und Frau

„Verklärte Nacht“, noch sind sie voneinander abgewandt Foto: Anne van Aerschot

von Katrin Bettina Müller

Als sie das erste Mal auf die leere Bühne kommen, die Frau im rosa Kleidchen, der Mann im Anzug, da liegt eine Geschichte schon hinter ihnen. Anne Teresa De Keersmaeker, Choreografin der „Verklärten Nacht“, skizziert das mit wenigen Strichen. Den Rücken hat er ihr zugewandt und verharrt, und all ihr Zittern, all ihr Zögern, die Schritte der Ratlosigkeit und der Angst finden außerhalb seines Blickfeldes statt. Hier hat etwas zwei auseinandergebracht. Verletzungen, namenlos.

Es ist still, wenn sie das erste Mal auf die Bühne im Theater im Halleschen Ufer laufen, und still auch noch beim zweiten Mal. Erst später setzt die Musik von Arnold Schönberg ein, „Verklärte Nacht“, geschrieben um 1900 ungefähr. Mit dem vollen Klang des Orchesters kehrt eine Welt zurück an einen Ort, der bis dahin nur von Verlusten, vom Wegrutschen von Gewissheiten gekennzeichnet war. Die Einsamkeit, in der die beiden von ihren heftigen Emotionen besetzt sind, erhält stark farbig glühende Ränder.

Anne Teresa De Keersmaeker, seit langer Zeit immer mal wieder mit ihren Tanzstücken in das Hebbel-Theater oder Theater am Halleschen Ufer eingeladen, arbeitet selten so tanztheaterhaft wie in diesem Duett. Es schmiegt sich ganz an den spätromantischen und expressiven Gestus der Musik an. Arnold Schönberg ließ sich von einem Gedicht von Richard Dehmel über ein Paar anregen, dass nach einem Bruch des Vertrauens zum Verzeihen zurückfindet. Von dieser kurzen Narration sind in der Musik die Gefühle von Schuld, Angst und Verlassenheit gegenwärtig, die das Tanzstück zurückübersetzt in eine Beziehung zwischen Mann und Frau.

Ihre Haare fliegen, wenn sie den Kopf rückwärts wirft, und das tut sie oft. Der Körper wird von diesem Impuls gebogen und gezogen, ins Kreiseln, Fallen und Stürzen. Sie (Samantha van Wissen und Cynthia Loemij tanzen die Rolle abwechselnd) lüpft mit den Händen den Rock, eine winzige, reizende Geste, bevor sie in die Knie bricht, zu Boden geht oft, bei aller Verzweiflung auch immer begehrend und begehrenswert. Sie scheint nichts zu wiegen, wenn er ihr endlich wieder die Hand reicht und sie hochfliegt wie nichts, mit den Knien auf seinen Schultern ankommt.

De Keersmaeker arbeitet selten so tanztheaterhaft wie in diesem Duett

Das mag altmodisch anmuten in der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Sie läuft und rollt die Kreise, er nimmt die Diagonalen, ihr obliegt das Austanzen all der vielen Stadien und Nuancen der Gefühlswelt, er ist lange nur der Abwartende. Aber das liegt wohl weniger daran, dass De Keersmaeker eine Choreografie zu Schönbergs „Verklärter Nacht“ das erste Mal in 1995 entwickelte, damals als Ensemblestück für drei Paare und nun ihr eigenes Stück als Duett nach zwanzig Jahren wieder bearbeitet hat. Sondern die Anmutung des Altmodischen liegt mehr am Festhalten des historischen Kontextes. Die Figuren sind sehr in Konventionen eingebunden, erst daraus erklärt sich die Höhe ihrer Emotionen.

Anne Teresa De Keersmaeker, die eine Aufnahme der „Verklärten Nacht“ der New Yorker Philharmonic, dirigiert von Pierre Boulez, gewählt hat, geht mit Musik stets sehr sorgfältig um, reflektiert den Zeithorizont der Entstehung und der Aufführungspraxis. Dass die Figuren aus den Umrissen des Vorgegebenen heraustreten, sich einander wieder öffnen und zuwenden können, ist ja das Besondere, oder auch Moderne an ihrer Geschichte im Moment der Erzählung, der Tondichtung vor über hundert Jahren. Dass man ihr diese Vergangenheit ansieht, ist nicht verkehrt.

Wieder im HAU 2 17. bis 19. Dezember, 20 Uhr