Berliner Szenen: Nach Wismar
Bahn-Zirkus
Ein Freitagabend kurz vor Weihnachten: Endlich soll ein Geschenk eingelöst werden, das ich meiner Freundin letzten Heiligabend geschenkt hatte: eine Reise ans Meer. Wir wollen nach Wismar, weil alle sagen, da sei es so schön.
Die Online-Auskunft der Bahn verrät bereits am Nachmittag: Der Zug wird nicht pünktlich um 19:24 vom Berliner Hauptbahnhof losfahren. Notarzteinsatz am Gleis heißt es, 35 bis 40 Minuten Verspätung. Dasselbe steht da auch noch, als ich um 19 Uhr erneut schaue. Dann treffen wir uns halt ein paar Minuten später, sage ich mir und meiner Freundin. Um 19.28 bin ich am Hauptbahnhof. Auf der Anzeigentafel ist die Rede von einer fünfminütigen Verspätung, der Euro-City steht bereits unten am Gleis.
„Das sind doch nur Prognosen“, antwortet mir die Schaffnerin, als ich mich wegen der seltsamen Bahnauskunft beschwere. Ich versuche meine Freundin zu erreichen, habe aber keinen Empfang. Ein anderer Schaffner leiht mir sein Handy. Sie sei noch in der S-Bahn, und die stecke am Hackeschen Markt fest, sagt mir meine Freundin S.
Ich steige also allein in den Zug. In Spandau ist die Reise schon wieder vorbei, weil S. S-Bahn nicht rechtzeitig eintrifft. Ich strande auf dem Bahnsteig und könnte kotzen. Wegen der Online-Bahn-Auskunft. Und weil ich kapiere: Der Regio, den wir eigentlich ab Ludwigslust hätten nehmen sollen, fährt auch direkt von Berlin nach Wismar. Nun also zwei Stunden warten, anstatt direkt durchfahren ans Meer.
Meine Freundin ist zum Glück nicht so frustriert und überredet mich zu einem Bier. Schließlich entdecken wir in einer Nebenstraße eine Kneipe. Ich bestelle mir ein Bier. Es schmeckt nach Plörre. Aber das ist mir plötzlich egal: Ich habe den ganzen Bahnzirkus vergessen, merke ich. Johannes Kulms
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