Bewegung

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„Liebes Grieskinn“

Konventionen Herbstgefühle und noch kein einziges Geschenk – kein Ding. Es gibt schöne Alternativen zur Besinnlichkeit unter irgendeinem Baum

Weihnachten ist total Metal, aber das muss man nicht mögen. Hier der Krampus, eine typische vorweihnachtliche Impression aus Österreich Foto: ap

von Donata Kindesperk

Problematisch an Weihnachten sind neben der erhöhten Anzahl von „Familientragödien“, der schrecklichen Musik und den sich zunehmender Käu­fe­r*in­nenzahlen erfreuenden hässlichen ­Weihnachtspullovern („Ugly X-mas Sweater“) natürlich die ausbrechende Vulgärfrömmigkeit und der Konsumcharakter der Vorbereitungszeit.

Im wunderbaren Bill-Watterson-Comic „Calvin und Hobbes“ ist das so zusammengefasst: Der Grundschüler Calvin schreibt schwere Packen Papier voll mit Wünschen (Flammenwerfer, Panzerfaust, Comics), ist unterdessen ständig gepeinigt von der für viele christlich erzo­genen Kinder nicht unerheblichen Angst, leer auszugehen, weil er kein überangepasstes Kind ist. Er erhält einen Brief vom Christkind, in dem ihm eine drastische Verhaltensänderung nahegelegt wird: Er könnte etwas serviler sein, insbesondere seinem Kumpel Hobbes gegenüber. Unterzeichnet ist der Brief mit „Grieskinn“, was den Schwindel auffliegen lässt. Hobbes hatte die Amtsanmaßung begangen, um seinen Freund gefügig zu machen. Die Meinungen mögen auseinandergehen – wer aber schwer an der einst erfahrenen Erziehung schleppt, weiß: Weihnachten hat den Zweck, eine*n auf Spur zu bringen.

Für alle, die nicht zur Familie wollen oder können, die allein in Berlin sind, für Atheist*innen, Brauchtumskritiker*innen und Antikapitalist*innen gibt es ein paar schöne Veranstaltungen rund um die Feiertage.

Freitag, 18. Dezember

In der Erreichbar beim „Queer Feminist (anti)Xmas Karaoke“ werden die Tränen der Einsamkeit getrocknet, die so jahreszei­ten­spezifisch über unsere Gesichter kullern: „Winter is coming and every now and then we get a little bit lonely / We don’t know what to do and we are always in the dark / But don’t be sad, our beloved Karaoke is back so we don’t fall apart!“ Zu essen gibt es vegane Burger, alle Gender sind willkommen. Ab 18 Uhr, Reichenberger Str. 63a.

Samstag, 19. Dezember

KAmpf DEm WEihnachtsterror!“ Die Demo mit dem impliziten Verweis auf das Luxuswarenhaus im Titel soll „wie jedes Jahr gegen die Weihnachtsheuchelei protestieren“. Im Aufruf heißt es: „Zwischen sozialen Aus-Raubzügen und islamophober Terrorhysterie gehört auch das Weihnachtsfest zu den Säulen kapitalistischer Herrschaft, nicht nur in der sogenannten westlichen Welt. Diese Demonstration quetscht sich sozialneidisch durch die City-West und über den Kurfürstendamm (der Kiez der Reichen und Schönen). Gegen die Verkommerzialisierung des öffentlichen Raumes, gegen den Konsumterror und gegen die Vertreibung alternativer Freiräume durch Yuppies und Gentrifizierer. Gegen Hartz V, „Weihnachtsheuchelei“ und religiösen Wahn. Wohnungen für Geflüchtete! Für Selbst­orga­ni­sation, größtmögliche Freiheit und eine klassenlose Gesellschaft!“ Ab 14 Uhr auf dem Joachimsthaler Platz.

Donnerstag, 24. Dezember

Im Yaam wird dieses Jahr schon zum vierten Mal Weihnachten für alle gefeiert. Wohnsitzlose, Menschen, die sich nach Gesellschaft sehnen und/oder mithelfen wollen, sind eingeladen. 2014 kamen rund 600 Personen zu dem Fest. „Während die anderen Organisationen alle schließen, um besinnlich bei ihren Familien zu feiern, machen wir es genau umgekehrt.“ Ab 11 Uhr beginnen die Vorbereitungen, um 13 Uhr beginnt das Programm mit Essen, Geschenken, Workshops, Überraschungen und Jamsession am Abend. An der Schillingbrücke 3.

„Weihnachten verhindern“ heißt es im Sama-Café. Wie? Mittels „unchristlicher Weihnachtsmusik“ und des Films „Life of Brian“ in englischer Originalfassung. Ab 19 Uhr in der Samariterstraße 32.Im X-B-Liebig wird beim „Anti-Christmas evening“ mit veganer KüfA der Film „Die Mondverschwörung“ von Dennis Mascarenas gezeigt, der sich der antimodernen Flucht in Esoterik, Okkultismus und Innerlichkeit widmet und dank englischen Untertiteln auch etwas für nicht Deutsch Sprechende sein kann. Beginn um 20 Uhr in der Liebigstraße 34.

Ab 21 Uhr findet wieder das „antireligiöse Besäufnis“ mit Vokü und Drinks in der AGH Kneipe in der Köpi statt. Köpenicker Straße 137.