Prima Klima in Pantin
: Das andere Gipfeltreffen

Foto: Isabel Lott

Gefühlte Temperaturvon Harriet Wolff

Sie ist schwerhörig, und sie ist stur. Nein, heute möchte Madame keine Schokolade, nichts von der schicken Eulen-Edition, die ich extra ihr zu Ehren aus meinem nicht minder schicken Umweltbeutel von der COP21 ziehe. Er ist himbeerrot, und auf ihm steht „Ceci était un pull“. Madames Strickjacke ist signalrot, Nicole Schneider ist auf Empfang eingestellt. Just ist die Weitgereiste 100 Jahre alt geworden, und sie empfängt mich und Enkelin Cécile-Fleur, die ich am Stand von Greenpeace Frankreich auf dem Klimagipfel kennengelernt habe, in der Küche ihres Backsteinhauses in Pantin.

Pantin ist nordöstliche Pariser Vorstadt, nah am Messegelände Le Bourget und ein Vorzeigeprojekt hinter dem Autobahnring der Périphérique. Hier hat der Galerist Thaddaeus Ropac in einer Ex-Eisenwarenfabrik eine seiner Pariser Dépendancen, die Luxusmarke Hermès Ateliers und Showrooms. Pantin ist manchmal bobo, das französische Wort für hip, aber meist einfach nur angenehm am Canal de l’Ourcq gelegen und nicht ständig am Rande des Nervenzusammenbruchs wie intra muros Paris. 

Madame Schneider hat auch die Ruhe weg; sie hat mit ihrem vor einigen Jahren gestorbenem Mann Raymond, einem Militärarzt, ein Stück Welt gesehen. Man war in Vietnam stationiert und auf Martinique.

„Il fait prèsque nuit, wird es denn gar nicht mehr hell ­heute?“ Draußen herrscht suppiges Wetter

1959, erzählt Madame, zog man mit den drei Töchtern nach Pantin, „was soll ich sagen, on a un peu arrangé, wir haben ein bisschen geräumt und dann ging’s los – la vie, das Leben“. Die Küche der Schneiders zeugt von diesem Leben, sie ist gemütlich gestopft mit dem Klatschblatt Paris Match, mit Kalendern und einer Kaffeebechersammlung. Passend zu letzterer gibt es Filter in allen erdenklichen Größen und draußen, dehors, blühen noch die Löwenmäulchen.

 Jedoch das dehors macht Madame Kummer, während sie des Mittags den vorzüglichen Lachs zierlich zu Munde führt. „Il fait prèsque nuit, wird es denn gar nicht mehr hell heute?“ Draußen herrscht fürwahr suppiges Wetter. „C’est triste“, bestätigt Frau Schneider, doch ihre braunblauen Augen blitzen. „Mais quoi faire, was soll man machen, das Leben geht weiter – Santé!

Die Hundertjährige hebt ihr Wasserglas, kein Sturm zieht auf, und sie steigt auch nicht aus dem Fenster. Madame Nicole Schneider bleibt sitzen, sie verschwindet nicht. Nach einer kleinen Weile sagt sie: „Je vais faire la sieste.“ Jetzt Siesta. Und ich mache mich wieder auf Richtung Klima. Jetzt von Pantin nach Le Bourget. Zu dem anderen hochkarätig besetzten Gipfeltreffen.