Knackpunkte und Streithähne

AUSBLICK Die Klimakonferenz weiß nach einer Woche endlich, worüber sie verhandeln will. Städte und Gemeinden fordern echte Fortschritte, und die finanziellen Streitfragen liegen ab sofort in deutscher Hand

Der aktuelle Stand

„Wir haben einen Entwurf in den Händen, der alles möglich machen kann: ein starkes Abkommen oder eine Luftnummer“

Regine Günther, WWF

von Bernhard Pötter

PARIS taz/rtr | So kann man es auch sehen: „Wenn wir so weit sind, dass die Geheimdienste die Klimakonferenz abhören“, sagte der ehemalige Chef des UN-Klimasekretariats Yvo de Boer am Wochenende, „dann heißt das: Wir sind auf dem richtigen Weg.“ De Boer spielte auf die Debatte über die Hackerangriffe auf Delegierte an. Dazu kamen Meldungen, dass manche kleinen Staaten sich lieber unter freiem Himmel als in ihren Büros treffen, weil sie fürchten, abgehört zu werden.

Allzu viel Brisantes werden aber auch die größten Lauscher auf dem Konferenzzentrum in Le Bourget in diesen Tagen kaum hören. Denn die Konferenz hat sich nach einer zähen ersten Woche ohne inhaltliche Fortschritte bisher nur darauf geeinigt, worüber die Minister in der nächsten Woche überhaupt verhandeln sollen. Statt eines 54-seitigen Papiers voller Kraut und Rüben gibt es jetzt einen neuen reduzierten Entwurf, der „intelligent strukturiert“ ist, wie der deutsche Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth sagte. „Allerdings sind alle politischen Fragen weiter offen. Es liegt eine Menge Arbeit auf dem Tisch der Minister.“

Etwas Bewegung gab es am Samstag bei einer der zentralen Streitfragen, nämlich den finanziellen Hilfen, mit denen die Industriestaaten die Entwicklungsländer im Kampf gegen den Klimawandel unterstützen sollen. Nach massiver Kritik, dass die bisherigen Zusagen nicht eingehalten werden, versprachen die G-7-Staaten zusätzliche 300 Millionen Dollar. Mit diesem Geld werden sie Versicherungen für die Opfer von Fluten und Stürmen in den ärmsten Länder ermöglichen. „180 Millionen Menschen zusätzlich kommen dadurch an eine Versicherung gegen den Klimawandel“, sagte Thomas Silberhorn, Staatssekretär im Bundesentwicklungsministerium. Diese Versicherungen sind eine Initiative der deutschen G-7-Präsidentschaft, und der Bund legt dafür 150 Millionen auf den Tisch.

Insgesamt hatten die Industriestaaten schon im Jahr 2009 beim gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen zugesagt, ab dem Jahr 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar an Klimawandel-Hilfen zu mobilisieren. Dieses Ziel könnte nach Angaben aus Verhandlungskreisen erreicht werden: Ein Finanzexperte rechnete für 2020 mit 94 Milliarden Dollar. Dem widersprach Jan Kowalzik von der Hilfsorganisation Oxfam. „Wenn man sich darauf beschränkt, was konkret angekündigt wurde, landet man eher bei 82 Milliarden Dollar im Jahr 2020“, sagte er.

Die Lösung der finanziellen Streitfragen liegt ab sofort in der Hand des deutschen Umwelt-Staatssekretärs Flasbarth. Der international geschätzte Experte soll gemeinsam mit einem weiteren Vertreter die zuständige Arbeitsgruppe leiten. Dort sollen in kleinem Kreis Kompromisslinien ausgelotet und geplant werden, wie die entwickelten Länder die versprochenen 100 Milliarden Dollar Klimahilfen bis 2020 aufbringen sollen. Das Finanzkapitel ist einer der Knackpunkte der Verhandlungen, weil über die feste Zusage von Finanzmitteln sehr viel Vertrauen aufgebaut oder aber zerstört werden kann.

Bei vielen anderen Fragen gab es bisher aber keine Bewegung. Auch der Auftritt von über 150 Staatschefs zu Beginn der Konferenz vergangene Woche hat nicht dazu geführt, dass sich die Delegationen inhaltlich auch nur einen Millimeter bewegt haben. Eigentlich sollten es die Minister im „high level segment“ der zweiten Woche mit etwa fünf bis sechs klar umrissenen Problemfeldern zu tun haben. Jetzt müssen sie in großer Runde gemeinsam Wortakrobatik betreiben.

Geplant ist dafür eine Verhandlungsrunde für etwa 80 Parteien, aber mit mehr Plätzen in der zweiten Reihe, sodass alle Länder und Staatengruppen vertreten sind. Geführt wird dieses Gremium vom französischen Außenminister Laurent Fabius, der seit Samstag die Präsidentschaft der COP21 übernommen hat. Wenn es irgendwo hakt – und es wird bestimmt haken –, wird Fabius aus diesem Kreis die Streithähne zur Kompromissfindung vor die Tür schicken.

Im aktuellen Entwurf sind bisher noch 939 gekennzeichnete Textstellen enthalten, in denen es Klärungsbedarf gibt. Strittig ist beispielsweise, bis wann und in welchem Ausmaß die Nutzung fossiler Brennstoffe, vor allem Kohle, vermindert wird. Auch die Frage, ob neben dem Ziel, die globale Erwärmung bis zum Jahr 2100 auf 2 Grad zu beschränken, auch das von vielen Inselstaaten geforderte 1,5-Grad-Ziel erwähnt wird, ist offen.

Umweltverbände zeigten sich dennoch vorsichtig optimistisch. „Wir haben einen Entwurf in den Händen, der alles möglich machen kann: ein starkes Abkommen oder eine Luftnummer“, sagte Regine Günther vom WWF. Greenpeace-Experte Martin Kaiser meinte: „Wir sind weiter mit dem Prozess, als wir es je in Kopenhagen waren.“ Andere Konferenzteilnehmer äußerten hingegen Kritik. Das verabschiedete Papier lasse viel zu viele Fragen offen. „Wir hatten gehofft, dass wir mit unserer Arbeit schon weiter vorangekommen wären“, beklagte etwa die südafrikanische Unterhändlerin Nozipho Mxakato-Diseko, die als Sprecherin von mehr als 130 Entwicklungsländern auftrat. „Wir fordern unsere Partner auf, sich unsere Sorgen anzuhören.“

Um sich selbst Mut zu machen, hatte die Konferenz den ganzen Samstag zum „Klima-Aktionstag“ erklärt. Frankreichs Umweltministerin Ségolène Royal sagte: „Es gibt viele gute Nachrichten: Niemand bestreitet mehr die Wissenschaft vom Klimawandel, wir haben die nötigen Technologien, um ihn zu bekämpfen. Vieles davon sind Optionen, bei denen alle gewinnen.“

In einer langen Reihe von Reden und Aktionen durch Politiker und Prominente werden zum ersten Mal auf einer COP die Klimaschutzanstrengungen von Akteuren offiziell anerkannt, die keine Staaten sind: Städte, Gemeinde, Unternehmen, Investoren durften den ganzen Tag unter großem Beifall ihr Projekte vorstellen.

Für das globale Bündnis für nachhaltige Städte ICLEI präsentierte der Bürgermeister von Seoul, Park Won Soon, die Forderungen von weltweit etwa 1.000 Städten und Gemeinden an die COP: ein ehrgeiziges Abkommen, das bis 2050 aus den fossilen Brennstoffen aussteigt und die Energieversorgung auf 100 Prozent Erneuerbare umstellt; alle fünf Jahre eine Überprüfung der Klimapläne der Länder, finanzielle Hilfe dafür durch die Reichen – und zwar jährlich 35 Milliarden aus Steuergeldern – und eine Regelung für Entschädigung bei Klimaschäden.

Kurz: eine sehr weitgehende und ambitionierte Liste. Sollte sie auch nur ansatzweise umgesetzt werden, dürfte sich für die Details durchaus der eine oder andere heimliche Mithörer interessieren.