Ja

Die HamburgerInnen über Olympia abstimmen zu lassen, war richtig – ganz unabhängig vom Ergebnis. Große Themen, die für ein Bundesland wie Hamburg von grundsätzlicher Bedeutung sind, können nicht mehr ohne Einbeziehung der Regierten entschieden werden. Dafür hat gerade der Bürgerrechtsverein „Mehr Demokratie“ verdienstvollerweise gesorgt: Ohne Elemente direkter Demokratie wie Volksentscheide ist ein modernes demokratisches Gemeinwesen nicht mehr denkbar. Und ohne das ergänzende Instrument der Volksbefragung ab sofort auch nicht mehr.

Bislang handelte es sich bei der direkten Demokratie ausschließlich um Abwehrrechte. Das Parlament beschließt eine Schulreform oder eine Olympia-Bewerbung, und danach erst können BürgerInnen in einem dreistufigen und endlos langen Prozess dagegen mobilisieren: Unterschriften sammeln für eine Volksinitiative, noch mehr Unterschriften sammeln für ein Volksbegehren und letztlich ein Volksentscheid – da können schon mal zwei Jahre ins Land gehen, zwei Jahre des Stillstands.

So war es beim Volksentscheid über die Energienetze, mit dem im September 2013 Verträge zwischen dem Senat und den Energiekonzernen Vattenfall und Eon-Hanse aus dem Jahr 2011 rückgängig gemacht wurden. So wäre es auch bei der Bewerbung um Olympische Spiele gewesen – mit dem vorhersehbaren Ergebnis, diese sogar ohne Volksentscheid zu verhindern.

Denn der hätte voraussichtlich zusammen mit der Bundestagswahl im September 2017 stattgefunden und damit etwa zwei Wochen nach der längst terminierten entscheidenden Sitzung des IOC in der peruanischen Hauptstadt Lima. Und kein Traumtänzer glaubt ernsthaft, dass das IOC sich für Hamburg entschieden hätte angesichts des Risikos, wenige Tage später mit leeren Händen da zu stehen.

Deshalb war es zwingend notwendig, ein schnelleres Verfahren zu ersinnen: das Referendum, in dem die Regierenden den Regierten eine Frage oder eine Vorschlag auf den Tisch legen, auf dass diese darüber befinden. Binnen eines halben Jahres gibt es eine breite und ergebnisorientierte gesellschaftliche Debatte, dann wird entschieden und alle wissen, woran sie sind. Perfekt.

Dass die Premiere auch noch mit einer Niederlage für „die da oben“ endete, die sich sowohl Olympia als auch das Referendum ausgedacht hatten, stärkt die Wertigkeit einer Volksbefragung zusätzlich. Sie entkräftet die Kritik von „Mehr Demokratie“, Referenden seien getarnte Instrumente der politischen Unterdrückung von Basisinitiativen. Deren Erfolg am vorigen Sonntag belegt das genaue Gegenteil.

Die direkte Demokratie in Hamburg hat sich seit ihrer Einführung 1998 bewährt. Sie hat sich erwiesen als eine sinnvolle und kraftvolle Ergänzung der repräsentativen Demokratie. Parlament und Regierung sehen sich einer weiteren Kontrollinstanz gegenüber, einem potenziellen Korrektiv, dessen bloße Existenz schon zu mehr Transparenz und weniger Hinterzimmerkungelei geführt hat. Das zeigt sich am Wahlrecht, mit dem die WählerInnen die früher sakrosankten Kandidatenlisten der Parteien munter durcheinander wirbeln, das zeigt sich an den vier herben Klatschen (siehe Kasten), welche die Regierenden bei Großprojekten in nur gut zehn Jahren einstecken mussten.

Und diese real existierende direkte Demokratie ist ergänzt worden um zwei Elemente, welche ihre Initiatoren – allen voran „Mehr Demokratie“ – zunächst übersehen hatten. Dass Volksentscheide nicht wie 2004 beim Verkauf der landeseigenen Krankenhäuser ignoriert werden dürfen, sondern gefälligst verbindlich zu sein haben, wurde nachträglich in die Hamburger Verfassung geschrieben. Und im Mai diesen Jahres wurde dort das Mittel der Volksbefragung von oben – das Referendum – verankert, das nun erstmals und erfolgreich angewandt wurde.

Der 29. November 2015 war ein Tag, an dem sich ein demokratischer Stadtstaat im Norden Deutschlands neu definierte – mit klaren Stoppschildern für Politiker mit autokratischen Zügen, für intransparente Machtapparate wie die Hamburger Handelskammer, für Dunkelmänner-Gremien wie die nationalen und internationalen Olympischen Komitees.

Für den Breiten- und Leistungsport in Deutschland und für die nachhaltige Stadtentwicklung in Hamburg war dieser stürmische Sonntag ein Nackenschlag. Demokratietheoretisch brachte er Fortschritt. Sven-Michael Veit