„Vom Lärm fühlt man sich vereinnahmt“

Weil jede Baustelle irgendwann fertig ist, kann sich der Mensch psychologisch besser mit dem Lärm abfinden, sagt der Lärmforscher Rainer Guski. Der Körper gewöhne sich aber nie an Krach – egal, wie regelmäßig er auftritt

taz: Herr Guski, wie charakterisieren Sie Baustellenlärm?

Rainer Guski: Das ist kein Dauerschall, wie ihn eine Autobahn produziert. Das Geräusch ist nicht konstant, sondern mal laut, mal leise. Dies hat Auswirkungen auf das physiologische System des Menschen, das sehr stark auf Änderungen reagiert.

Was bewirkt Baustellenlärm bei Menschen?

Man muss unterscheiden zwischen physischer und psychischer Belastung. Eine Baustelle ist nichts Dauerhaftes, das ist psychologisch gut: Ich kann absehen, dass es vorbeigeht. Andererseits kann der Mensch mehr als einen Monat psychologisch nicht überblicken. Tagsüber gibt es Kommunikationsprobleme, etwa beim Telefonieren. Das ist langfristig nicht unbedingt schädlich. Aber man fühlt sich unwohl, die Wohnqualität sinkt.

Empfinden wir Lärm nachts anders als tagsüber?

Eindeutig ja. Der Körper braucht Erholungsphasen. Die Ansprüche des Körpers sind nachts höher als am Tag. Für viele Leute sind Abend und Nacht die einzige Zeit, die sie selbst kontrollieren können. Wo also nicht der Chef bestimmt, was sie tun sollen. Wenn genau dann Lärm herrscht, fühlen sie sich vereinnahmt. Das empfinden die meisten als extrem unangenehm.

Kann sich der Mensch an Lärm gewöhnen?

Der Körper gewöhnt sich nie an Lärm. Psychologisch glaubt man aber, es zu können. Man denkt oft: „Ich höre es schon nicht mehr.“ Das ist mehr so eine resignative Gewöhnung.

Was sind die Folgen von dauerhafter Lärmbelästigung?

Die Wirkung geschieht auf verschiedensten Ebenen – physiologisch, psychologisch, auch ökonomisch, wenn zum Beispiel der Wohnungswert sinkt. Wir sollten uns nicht damit begnügen, nur das medizinische Maximalrisiko des Herzinfarkts zu betrachten. Er ist die schlimmste Folge, weil er tödlich ist. Dieses Denken – ab 60 Dezibel fängt die schlimme Belastung an, weil das Infarktrisiko steigt – ist falsch. Die Belästigung fängt schon viel früher an.

Baustellen gibt es so häufig wie Menschen, die sich davon belästigt fühlen. Machen die Bauunternehmen etwas falsch?

Es gibt keine Lobby für die Betroffenen von Baustellenlärm. Bei anderen Lärmarten, zum Beispiel dem Fluglärm oder bei Autobahnen, ist das anders. Da gibt es zahlreiche Bürgerbewegungen. Ich kenne keine Interessenvertretung, die gegen Baustellenlärm kämpft. Das ist ja auch logisch, Baustellen sind irgendwann wieder weg.

Kann man trotzdem etwas tun?

Kommunikation zwischen Lärmerzeugern und Lärmempfängern ist das A und O der Lärmschutzpolitik. Es hat mal eine Untersuchung auf einer kanadischen Großbaustelle gegeben. Dort hatte der Bauunternehmer schon früh mit den Bewohnern gesprochen. Er hat lange vor Baubeginn viel unternommen, um es den Anwohnern so angenehm wie möglich zu machen. Wie gesagt, Lärm ist etwas stark Psychologisches. Ein Geräusch, von dem man glaubt, es sei nicht unbedingt nötig, wirkt immer lästiger als etwas Vorhersehbares.

INTERVIEW: FRIEDERIKE MEYER