Stummel-Stummel-U-Bahn ist weltrekordverdächtig

Nach der Wasser-Panne will die BVG die U 55 zwischen Hauptbahnhof und Reichstag pendeln lassen. Toll! Das wäre die kürzeste U-Bahn der Welt

Berlin kann pünktlich zur Fußball-WM einen Weltrekord aufstellen – und kräftig damit werben. Der Grund: Nach dem Grundwasser-Einbruch in die Baugrube des U-Bahnhofs Brandenburger Tor überlegt die BVG, zwischen den beiden fertigen Stationen der U 55 unter Reichstag und Hauptbahnhof Züge pendeln zu lassen. „Es könnten sofort Züge mit sechs Wagen im 10-Minuten-Takt fahren“, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Die Idee besticht: Zwei luxuriös ausgebaute Stationen, immer hin und her, gut 600 Meter Luftlinie. Das riecht nach der kürzesten (und teuersten) U-Bahn der Welt.

Die BVG hätte mit dem Plan durchaus Chancen, ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen, glaubt Olaf Kuchenbecker, Redaktionsleiter der deutschen Ausgabe: „Das klingt viel versprechend.“ Bisher steht unter dem Eintrag „Kürzestes U-Bahn-Netz“ die U-Bahnlinie Carmelit in Haifa. 1959 eröffnet, ist sie nur 1.800 Meter lang. „Die einzige U-Bahn in ganz Israel ist eine Seilbahn mit einer Steigung von 12 Grad, (…) beginnt am Paris Square, endet am Carmel Central und hat nur sechs Stationen“, schreiben die Rekordprüfer über die U-Bahn, die – wohlgemerkt – oberirdisch fährt.

Eine unterirdische (!) U-Bahn mit zwei Stationen könnte es also locker ins Buch schaffen, auch wenn sie nur während des WM-Monats fährt – ein „gewisser Zeitraum“ würde laut Kuchenbecker für den Rekordversuch ausreichen. Während sich andere Großstädte längst mit Verkehrssuperlativen wie dem ausgedehntesten U-Bahn-Netz (New York City, 1.355 Kilometer), dem endlosen U-Bahnsteig (Chicago, State Street Center, 1.066 Meter) oder der meistgenutzten U-Bahn (Moskau, täglich 8 bis 9 Millionen Fahrgäste) schmücken, könnte auch Berlin endlich in die U-Bahn-Weltliga aufsteigen.

Die Idee findet Anklang, zum Beispiel bei Tourismuswerbern: „Das wäre doch eine schöne Sache“, sagt Natascha Kompatzki, Sprecherin der Berlin Tourismus Marketing GmbH. „Ein solcher Rekord würde viel Aufmerksamkeit auf die Hauptstadt lenken.“

Schön und gut, aber wie geht’s? Die Kandidatin, also die BVG, muss die Höchstleistung den Prüfern von Guinness World Records melden. Sie hat einen Internet-Zugang, deshalb kann sie einfach www.guinnessworldrecords.com eintippen. Ein Klick auf den Button „Make a Record Attempt“ (engl. für: „Ja, ich will den Weltrekord!“), und schon winkt ein toller Marketing-Erfolg. Jedes Jahr gingen 40.000 Anfragen ein, sagt Kuchenbecker. Nur rund 1.000 erfolgreiche Rekorde schaffen es tatsächlich in die Guinness-Datenbank.

Nicht unwichtig für die hochverschuldeten Verkehrsbetriebe: Antrag und Bearbeitung sind kostenlos. Nur wenn’s ganz schnell gehen soll, kann die Prüfung der Rekordanmeldung – die sonst sechs Wochen dauert – schon in drei Werktagen erledigt werden. Kostenpunkt: 250 Pfund. Anstatt selbst Zeugen zu suchen und Videos zu drehen, könnte die BVG einen Londoner Prüfer für 1.000 Pfund je Tag (plus Reisekosten) einfliegen. Er darf vor Ort Rekorde bestätigen.

Bei der BVG scheut man noch vor dem großen Wurf zurück. Von der taz auf den möglichen Mini-Weltrekord aufmerksam gemacht, gibt sich Sprecherin Reetz skeptisch: „Die Tunnel reichen ja bis unter den Pariser Platz, außerdem ist die Linie noch im Bau.“ Hinzu kommt: Das Angebot macht die BVG, aber bestellen muss die Stummel-Stummel-U-Bahn die Verkehrsverwaltung. „Keine Ahnung, ob das genehmigt wird. Ich wäre eher vorsichtig“, sagt Sprecherin Manuela Damianakis. ULRICH SCHULTE