1.000-Risse-Reaktor produziert wieder

AKW Keine öffentliche Debatte über das umstrittene Atomkraftwerk Tihange 2 in Belgien

AMSTERDAM taz | Der zweite Reaktor des belgischen AKW Tihange ist seit Montagabend wieder am Netz. Kurz vor halb zehn, so die Betreiberin Electrabel, wurde er „in aller Sicherheit“ hochgefahren. Nun will das Unternehmen langsam die Kapazitäten erhöhen.

Der westlich von Liège gelegene Meiler Tihange ist eines der beiden belgischen AKWs. Das zweite befindet sich in Doel bei Antwerpen. Auch der Reaktor Doel 3 soll in den kommenden Tagen zurück ans Netz gehen. Beide lagen seit März 2014 still, weil in den stählernen Reaktorwänden mehrere tausend Haarrisse gefunden wurden. Die Ausfälle kosten die Betreiberin 40 Millionen Euro monatlich.

Die Föderale Agentur für Nukleare Kontrolle (FANC) hatte im November grünes Licht für den Neustart gegeben, nachdem Sicherheitstests zufriedenstellend verlaufen wären. Der öffentlich- rechtliche Rundfunksender VRT zitierte Electrabel-Sprecherin Geetha Keyaert, der zufolge der Reaktor in Tihange „zwar nicht repariert“, dessen stählerne Wände aber zu Testzwecken „intensiv radioaktiv bestrahlt“ worden seien. „In- und ausländische Experten haben konstatiert, dass es selbst mit den sogenannten Rissen kein Problem mit dem Widerstand des Stahls gibt.“

In den letzten Tagen löste der geplante Neustart im Dreiländereck Belgien-Niederlande- Deutschland Besorgnis aus. Zu den Initiatoren einer Unterschriftenkampagne gehörten auch Organisationen aus Eijsden (NL) und Aachen. Eine Petition, unterzeichnet von 165.000 Personen, wurde Anfang Dezember dem belgischen Innenministerium überreicht. Sie enthält die Forderung, beide Reaktoren definitiv zu schließen.

Das belgische Bündnis „Nucléaire Stop Kernenergie“ warnt, für einen erneuten Gebrauch bleibe „zu viel Unsicherheit“. Erst Anfang des Jahres hatten nähere Untersuchungen der Reaktoren ergeben , dass die Zahl der Risse deutlich höher liegt als bis dahin angenommen: 13.000 statt 8.000 in Doel und 3.000 statt 2.000 in Tihange. Zudem seien diese mit bis zu 18 Zentimetern auch länger als gedacht. Das Bündnis forderte Einsicht in die jeweiligen safety cases, die ihm jedoch verweigert wurde. Im Oktober ging Nucléaire Stop Kernenergie in Berufung. Ein Beschluss der zuständigen Kommission steht noch aus.

Die zügige Rückkehr ans Netz, heißt es auf der Website der Organisation, verhindere eine öffentliche Debatte in und außerhalb des Parlaments. Laut Jan Vande Putte, Strahlenschutz­experte bei Greenpeace Belgium, gebe es weder Klarheit über die Entstehung der Risse noch über deren mögliche Entwicklung. Eine Inbetriebnahme sei daher „total unverantwortlich“. Tobias Müller