Wenn Fuzz auf der Gitarre, dann aber so richtig Fuzz

ROCK II Fumaca Preta aus Brighton und Amsterdam schrauben in der Kantine am Berghain nicht Zusammengehöriges zusammen

Stilgrenzen überwinden und fusionieren, das sind die Stilmittel, die Pop lebendig halten. Wo wären wir heute, wenn der ehemalige Wandergitarren-Folkie Bob Dylan sich nicht irgendwann für den Rock interessiert hätte und die Beatles sich in Indien nicht das Spielen der Sitar hätten beibringen lassen?

Feuerwerk an Soundclashs

Wie wild man es treiben kann mit dem hemmungslosen Zusammenwürfeln verschiedener Sounds, die mal historisch, mal geografisch kodiert sind, bewies die Band Fumaca Preta bei ihrem Konzert in der Berghain-Kantine am Montagabend. Ein bunt gemischter Haufen ist die Band, die in Brighton und Amsterdam zu Hause ist; angeführt wird sie von Drummer Alex Figueira, der portugiesisch-venezuealanischer Abstammung ist und der ein Feuerwerk an Soundclashs zündete.

Schon rein optisch wurde dem Publikum seitens der Band von Beginn an mitgeteilt: Um Authentizität geht es hier bestimmt nicht. Der Ritt durch unzählige Kapitel der internationalen Popmusikgeschichte wurde eher wie eine Revue von Karnevalsnummern präsentiert als eine Art Burleske. Der Gitarrist und Keyboarder kam mit seinem langen Fellmantel daher wie ein Zuhälter, der Bassist trug einen Spandexanzug mit eigenwilligem Schäfchenwolken-auf-blauem-Himmel-Muster, und Figueira, der nicht nur trommelte, sondern auch auf Portugiesisch sang, hatte ein Cape umhängen, das eine Referenz – warum auch immer – an Zorro zu sein schien. Gut, jeder kann rumlaufen, wie er mag, und Fumaca Preta sind bestimmt nicht die erste Rockband, die auf eine eigenwillig inszenierte Optik setzt, irritierend wird es für das Publikum nur, wenn Look und Sound nur schwer miteinander in Bezug gesetzt werden können. Diese Typen auf der Bühne sahen aus wie eine Glamrockband, wie The Darkness und Konsorten, spielten aber ein absonderliches Soundgebräu aus Psychedelic, Afrobeat und Schweinerock. Eigentlich hätte alles gar nicht zusammenpassen dürfen, irgendwie tat es das aber doch. Von allem immer zu viel, dann ist es genau richtig, das war die Devise der Band, Übertreibung wurde als Kunstform zelebriert. Vor allem die Gitarre jaulte und kreischte und erging sich in endlosen Soli, die sogar Led Zeppelins Jimmy Page zu ausufernd gewesen wären. Und wenn Fuzz auf der Gitarre, dann aber so richtig Fuzz.

Blubberbox des Acid-House

Ein paar Singles und eine einzige Platte haben Fumaca Preta bisher aufgenommen – im analogen Hinterhaus-Studio von Alex Figueira in Amsterdam. Das Album wurde gefeiert für den Mut, Dinge zusammenzudenken, die so bislang einfach noch nicht kurzgeschlossen worden sind. Sixtiespunk und Tropicalia, ja, das hatte man schon einmal auf einen Nenner gebracht – und das wissen auch Fumaca Preta. Immer wieder greift der Gitarrist der Band deswegen hinter sich, bedient eine TB-303, die berühmte elektronische Blubberbox des Acid-House, und stülpt deren Zwitschern in sonischen Angriffswellen dem übrigen Rockirrsinn über. Das bedeutete dann die Erweiterung von Psychedelic-Rock um die Mittel von House und Techno. Als wäre man ohne diese Referenz nicht schon verwirrt genug gewesen bei diesem Konzert. Für Musik-Checker war der Auftritt von Fumaca Preta in der nur mäßig gefüllten Berghain Kantine eine schöne Möglichkeit, eigenes Wissen zu überprüfen: Ah, hier klingt’s wie Fela Kuti, dort wie Tom Zé oder Os Mutantes – und dieser überdrehter Gitarrensound könnte von den Sonics geklaut sein. Die meisten der Konzertbesucher ließen derartiges Auskenner-Gehabe zu ihrem Glück jedoch einfach bleiben und tanzten zu Fumaca Preta, als wären die einfach nur eine gut geölte und ein wenig lustige Groove-Maschine unter vielen. Andreas Hartmann