Phillip Mausshardt über Klatsch
: Wenn ich einmal alt und grau bin

Für unsexy Sicherheitskopien und öde Diebstahlsicherungen ist in meinem Leben einfach noch kein Platz

Die Frage, was ich einmal mache, wenn ich alt und grau bin, hat sich in den letzten zehn Jahren verkürzt auf: Was ich einmal mache, wenn ich alt bin. Sollte ich die jährliche Mitteilung der Bundesversicherungsanstalt (BVA), die jetzt Bundesversicherungsamt heißt, richtig verstanden haben, so darf ich im Jahre 2024 mit einer monatlichen Rente von 954 Euro rechnen, einem Betrag, den ich dann, ohne etwas dafür zu tun, zum Monatsersten auf mein Konto ausbezahlt bekomme. Eigentlich eine schöne Aussicht. Ob das in rund 20 Jahren allerdings noch für ein Fläschchen Rotwein täglich ausreicht, ist schwer vorauszusagen. Da setze ich allerdings ganz auf Aldi & Co, wie ich sowieso finde, dass Karl Albrecht für die Arbeiterklasse mehr getan hat als Karl Marx.

Vor wenigen Monaten habe ich meine private Altersvorsorge gekündigt und mir das einbezahlte Geld auszahlen lassen. Erstens weiß ich nicht, ob ich das Rentenalter überhaupt erreiche, und zweitens bin ich der Meinung, dass im Alter andere für mich sorgen sollen. Familienmitglieder, gute Freunde mit Geld, der Staat. Und außerdem hasse ich Versicherungen, Bausparkassen und All-Inclusive-Angebote. In den vergangenen Jahren habe ich alle Versicherungen gekündigt. Wer sein Auto beispielsweise gegen Diebstahl versichert, zeigt damit nur seine Angst davor, bestohlen zu werden. Und Angst essen Seele auf. Man sollte an das Gute im Menschen glauben. Mein Wohnungsschlüssel steckt häufig die ganze Nacht über von außen im Schloss, weil ich ihn dort vergessen habe. Noch nie fehlte mir etwas.

Skeptikern erzählte ich immer die Geschichte eines Freundes, der sich vor einer Italienreise eine Diebstahlwarnanlage ins Auto einbauen ließ. Sie war so geschaltet, dass nach Öffnen der Wagentür ein versteckter Schalter gedrückt werden musste, andernfalls hupte und blinkte der Wagen in wenigen Sekunden los. Weil er einmal vergessen hatte, schnell genug den Knopf zu drücken, und sein Auto hupend und blinkend durch die Innenstadt fuhr, verursachte das Einsteigen meinem Freund großen Stress: Tür auf, schnell den versteckten Knopf drücken und dann erst losfahren. So stellte er in der schönen Stadt Perugia seine Fototasche auf den Gehsteig, schloss den Wagen auf, sprang hinein, drückte ganz schnell den Schalter und fuhr los. Leider vergaß er seine Fototasche auf dem Gehsteig, die dann später nicht mehr dort stand.

Vor drei Tagen hat mir ein Dieb meinen Laptop gestohlen. Ich hatte ihn in einer deutschen Volkshochschule zum Laden in eine Steckdose gesteckt und war zehn Minuten weggelaufen. Das ist schlimm, denn auf dem Computer befand sich die Arbeit von vielen Jahren: Das ganze Archiv, Recherchematerial, Adressen, denn meine neurotische Abneigung gegen Versicherungen aller Art hat sich auch auf das Sichern von Daten übertragen. Sicherungskopien, das Wort ist schon so hässlich. Ich habe noch nie eine gemacht.

Ich fühle mich ein wenig nackt. Aber ich versuche, das Positive zu sehen, im Leben manchmal von vorne zu beginnen. Mein auf meinem neu gekauften Laptop frisch angelegtes Adressverzeichnis besteht jetzt nur noch aus zwei Einträgen, die man mir gestern neu gemailt hat: eine Freundin aus Hamburg und ein Koch aus Baiersbronn. Plötzlich sind diese beiden ganz wichtig, weil die Einzigen, von denen ich Telefonnummern, Anschrift und Mailadresse besitze. Früher wären sie zwei unter vielen gewesen, untergegangen in der Masse. Eine Freundin in Hamburg und einen guten Koch – braucht der Mensch viel mehr? Vermutlich werden in den kommenden Monaten noch viele andere dazukommen. Vermutlich so viel, dass der einzelne Eintrag in meinem Adressbuch keinen besonderen Stellenwert mehr hat. Schade.

Ich werde noch eine Weile bei Ebay nachschauen, ob der Dieb die Artikel aus meinem Datenarchiv meistbietend versteigert, ob der Laptop dort vielleicht wieder auftaucht. Aber eigentlich fürchte ich nur, aus Versehen die Kündigung einer Versicherung vergessen zu haben. Man wird schließlich älter.

Fotohinweis: KLATSCH Fragen zum Altern? kolumne@taz.deMontag: Peter Unfried CHARTS