Liebe deine Lampe wie dich selbst

Performance Der nackte Körper, der unbekleidete Körper – er ist weder einfach da, noch voraussetzungslos zu betrachten. Was dennoch geht, testet Mette Ingvartsen in ihrem Stück „7 Pleasures“ im HAU aus

Herrliches Kuddelmuddel: das „7 Pleasures“ von Mette Ingvartsen Foto: Marc Coudrais

von Katrin Bettina Müller

Wie das fließt und vorwärts gleitet, lautlos dahin schmilzt, sich träge ausbreitet, in träumerischer Langsamkeit Hindernisse überrollt und schließlich zum Stillstand kommt: blasse Haut und dunkle Haut, warmes, lebendiges, blutdurchpulstes Fleisch von Frauen und Männern. Eine Hand gleitet über einen Hintern, ein Bauch rutscht über einen Rücken, ein Schamhügel streift bärtige Wangen, ein Fuß drückt gegen eine Schulter. Berührung all over in dieser ersten, fast 30 Minuten langen Bewegungssequenz von Mette Ingvartsons Stück „7 Pleasures“ im Theater am Halleschen Ufer (HAU 2). Ohne Priveligierung besonderer Körperzonen.

Codierung von Sexyness

Der nackte Körper, der unbekleidete Körper, er ist weder einfach da, noch voraussetzungslos zu betrachten. „Natürlich“ schon mal gar nicht. Die Dispositive seiner Wahrnehmung sind eng gekoppelt an gesellschaftliche Rollenzuschreibungen, an Gendermuster, an die Codierung von Sexyness und Erfolg, an Versprechen von Jugend und Schönheit. Mette Ingvartsen ist sicher nicht die erste Choreografin, die darüber nachdenkt und den Versuch, den Blick auf Sexualität und Nacktheit zu modifizieren, als Ausgangspunkt einer Performance nimmt. Aber sie generiert zusammen mit ihren elf Darstellern auf diesem Weg sehr schöne, lustvolle und auch spannende Bilder, in denen klassische Paarbilder eben so wenig vorkommen wie eine pornografische Reduktion der Sexualität. Der kollektive Leiberhaufen generiert zwar ähnliche Bilder, schwenkt vor der expliziten Codierung aber auch immer wieder in eine andere Richtung.

„7 Pleasures“ kam im Steirischen Herbst in Graz heraus. Zuvor war die dänische Choreografin mit ihrer Lecture-Performance „69 Positions“ getourt, einer Erzählung über und Reinszenierung von berühmten Happenings der Konzeptkunst der 60er Jahre. Das Solo bestach neben dem klugen Umgang mit der Geschichte auch durch die gewitzte Aktivierung der Vorstellungskraft der Zuschauer. Als Ausblick in die Zukunft las sie am Ende einen Text von Beatriz Preciado, Star der Queertheorie, vor, in dem es um die durchaus erregenden Möglichkeiten ging, zu seiner Schreibtischlampe eine sexuelle Beziehung einzugehen.

Was dort nur skizziert war, wird im zweiten Bild von „7 Plea­sures“ breit ausgemalt. Der kühle Stahl einer Salatschüssel, der Stamm einer Yuccapalme, der Flor des Teppichs: überall finden die schon erregt ausgestreckten Finger aufregende Erlebnisse. Diese Liebe zur Dingwelt ist durchaus ambivalent, sie bezieht sich auch auf den Fetischcharakter vieler Objekte in unserem Gefühlsleben, all die glatten Oberflächen und Screens, von deren Berührung man sich Kontakte verspricht.

Die Rhythmen der Suche nach sexueller Befriedigung, ein Schütteln des eigenen und Rubbeln am fremden Körper geben einem weiteren Kapitel das Tempo vor. Die Erregungskurven des Körpers werden schließlich über ihn hinaus vergrößert, mit Schnüren, Seilen, Schläuchen in Wellen über die Bühne geschleudert. Es geht um Ekstase, aber auch darum, in dieser Landschaft der Körper in Verbindung zu bleiben, zusammen den Raum zu gestalten, ihn mit Energien aufzuladen.

Ingvartsen erforscht, wie sich übliche Belegungen von Sex abstreifen lassen

Die Bilder verändern sich immer wieder, die Dramaturgie trägt über 90 Minuten. Gegen Ende hat ein Teil der Frauen und Männer wieder Kleidung übergestreift und erstmals spielen Fragen nach Dominanz oder Abhängigkeit eine Rolle. Sie drücken und ziehen sich, sie klammern und hängen schwer über dem anderen, als wäre mit der Kleidung auch der ganze Psychokram einer Beziehung in ihre Erzählung zurückgekehrt.

Kühl arrangiert

Ein naives Plädoyer für sexuelle Befreiung ist Ingvartsens Stück nicht. Eher ein kühl arrangiertes und erhitzt ausgetragenes Experiment, wie viel von den üblichen Belegungen der Sexualität man abstreifen kann, wo der Begriff zu dehnen, wo er neu zu befragen ist. Im Novemberheft der Zeitschrift tanz sprach Ingvartsen, im Interview mit Arnd Wesemann auch über den Begriff der Kontrolle und wie leichtfertig man die über das Internet und soziale Netzwerke zulasse. „Wir haben uns zu Objekten der Überwachung und Kontrolle gemacht“, sagte sie und „Freiheit von Überwachung lässt sich kaum noch vorstellen.“ In diesem Kontext gewinnt der Umgang mit der Sexualität besondere Bedeutung, auch wenn den Zusammenhang zu thematisieren in „7 Pleasures“ noch nicht sichtbar geworden ist.

Wieder im HAU 2 am 11. Dezember, 20 Uhr