Musikalische Glückwunschtelegramme

NEUE MUSIK Der große ungarische Komponist György Kurtág wird demnächst 90 Jahre alt. Am Freitag und Samstag feiert die Hochschule für Musik Hanns Eisler den Meister der knappen Form

Der Stadt Berlin eng verbunden: Márta und György Kurtág in der Berliner Philharmonie Foto: Kai Bienert/imago

von Tim Caspar Boehme

So ganz ist er den Geheimtipp-Status bisher doch nicht losgeworden. Und das, obwohl György Kurtág zu den bedeutendsten ungarischen Komponisten der Nachkriegszeit gehört. Wenn er im Februar 90 Jahre alt wird, ist das allemal eine Feier wert, und die Hochschule für Musik Hanns Eisler geht dankenswerterweise in Vorleistung. Freitag und Samstag stehen dort vier Konzerte mit Kammermusik des Jubilars an. Und die gehört zum Schönsten, was das 20. Jahrhundert hervorgebracht hat.

Den Berlinern könnte Kurtág sogar einigermaßen vertraut sein, da ihn das Wissenschaftskolleg Berlin im Jahr 1993 für zwei Jahre als „composer in residence“ der Berliner Philharmoniker in die Stadt lud. Auch mit der Musikhochschule Hanns Eisler verbindet Kurtág seit vielen Jahren eine enge künstlerische Zusammenarbeit.

Doch gerade im Vergleich mit dem anderen großen György unter den Komponisten, seinem ungarischen Kollegen György Ligeti, lässt sich gut nachvollziehen, wie unterschiedlich Musikerkarrieren in Zeiten des Kalten Kriegs verlaufen konnten: Während Ligeti nach dem ungarischen Aufstand 1956 in den Westen übersiedelte, wo er rasch zum Star wurde, blieb Kurtág in Ungarn und lehrte in Budapest. Erst nach und nach wurde er international bekannt.

Dass Kurtág einem großen Publikum vielleicht immer noch kein Begriff ist, hat auch damit zu tun, dass er sich in seinem Schaffen auf Kammermusik konzentriert hat. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Kompositionen für Streichquartett und Klaviermusik. Dabei vermeidet Kurtág große Gesten und spektakuläre Effekte. Grelles Scheinwerferlicht ist seine Sache nicht.

Spiel mit Tönen

Kurtágs Musik ist geprägt von lakonischer Verdichtung, von sparsam gesetzten Strichen, einer Poesie der wenigen Töne. Oft dauern die Stücke wenige Sekunden oder gerade einmal zwei Minuten, wie in seiner „Hommage à Mihály András“. Diese „12 Mi­kroludien für Streichquartett“, am Samstag zu hören, tragen ihre Knappheit schon im Titel. Und deuten eine weitere Besonderheit der Kurtág’schen Musik an: das Spiel mit Tönen.

Als Vorbild für Kurtágs Stil wird oft die Musik von Anton Webern genannt. Tatsächlich schrieb Webern ähnlich dichte Kürzestmusiken mit deutlicher Vorliebe für kleine Besetzungen. Anders als in dessen Zwölftonmusik, die oft von einem heiligen Ernst durchdrungen scheint, gestattet sich Kurtág aber Momente von spielerischem Humor. „Játékok“, ungarisch für „Spiele“, heißt eine Serie von didaktischen Stücken für Klavier – solo, zu zwei Händen und für zwei Klaviere.

Den pädagogischen Ansatz versieht Kurtág mit einem Augenzwinkern. Wenn diese Miniaturen nach Etüden klingen, dann so, wie ein sehr fantasievolles Kind ohne Scheu vor Dissonanzen sie geschrieben haben könnte. Kurtág hat viele dieser „Spiele“ mit seiner Frau Márta aufgeführt – beide sind ausgebildete Pianisten. Eine Auswahl gibt es am Samstag zu hören.

Kurtágs künstlerische Haltung wird durch den Titel des Geburtstagsprogramms: „... denn inniger ist, achtsamer auch ...“ gut auf den Punkt gebracht. Wobei die Worte von Friedrich Hölderlin stammen – Kurtág hat ihm mehrere Werke gewidmet. Dass der Komponist aller Voraussicht nach nicht anreisen wird, um die musikalischen Glückwunschtelegramme entgegenzunehmen, ist schade. Bei knapp 90 Jahren ist es jedoch irgendwie verständlich.

11. und 12. Dezember, Hochschule für Musik Hanns Eisler, Programm unter www.hfm-berlin.de/kurtag