Harte Strafe für „Marcy“

Magdeburger Richter verurteilen 29-Jährigen wegen Kinderpornografie im Internet zu Haftstrafe und Psychiatrie. Der Fall hatte vor zwei Jahren zu einer weltweiten Fahndung mit insgesamt 26.500 Verdächtigen in 166 Ländern geführt

VON GEORG LÖWISCH

Im Internet hat er sich „Marcy“ genannt. Weil ihn seine Mitschüler früher so gerufen hatten. Einer der Polizisten hat Marcel K. auch noch einen anderen Namen gegeben: Dominostein. Einer, den man antippt, der den nächsten umstößt, und dann fallen so viele, dass es ein paar Minuten rattert und klickt. So kann man sich vorstellen, was am 21. September 2003 geschah. Ermittler in der ganzen Welt nutzten an diesem Tag die Daten von Marcel K.s Aldi-Computer, um Kinderpornohändler und -besitzer in 166 Ländern zu Fall zu bringen: 530 Verdächtige in Deutschland, 26.500 weltweit.

Gestern hat die 1. Große Strafkammer des Magdeburger Landgerichts Marcel K. zu drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Vor allem aber ordnete die Kammer an, dass er in der geschlossenem Psychiatrie bleiben muss, in die er während des Prozesses eingewiesen wurde. Wie eine Gerichtssprecherin erläuterte, wird in einem solchen Fall regelmäßig geprüft, ob die Bedingungen für eine Unterbringung in der Klinik noch gelten. Erst wenn dies nicht mehr zutrifft, tritt der Betreffende seine Strafe an und kann anschließend entlassen werden. Die Richterin Claudia Methling sagte in ihrer Urteilsbegründung, K. habe „sehr abstoßende und grausame“ Bilder verbreitet.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Marcel K. in neun Fällen Kinderpornografie „bandenmäßig“ verbreitet hat. Genau darum ging es dem Magdeburger Oberstaatsanwalt Peter Vogt. Er und der Kriminalbeamte Torsten Kobow vom Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt haben den ersten Dominostein angestoßen und aus dem Fall Marcel K. tausende Hinweise für die weltweite Razzia gezogen. Das Bandenargument spielte im Prozess eine besondere Rolle. Zwar sind in Deutschland schon Verbreitung, Besitz und Erwerb von Kinderpornografie strafbar. Allerdings kann die Strafe schärfer ausfallen, wenn ein Täter als Mitglied einer Bande handelt.

Der Verteidiger Carsten Schneider hatte sich im Prozess gegen die Sicht der Staatsanwaltschaft gewandt: Dann müsse ja jeder Verbreiter schon in dem Moment als Bande betrachtet werden, in dem er Kinderpornos an mehr als zwei Nutzer weiterleitet. Schneider hatte auf Freispruch plädiert und kündigte gestern an, das Urteil anzufechten. Dagegen ist Oberstaatsanwalt Vogt zufrieden mit dem Urteil: „Ich erhoffe mir von dem Urteil eine Signalwirkung, dass die Beteiligung an der Verbreitung von Kinderpornografie über das Internet zu einem deutlich höheren Strafmaß führt.“

Auch Sven Karge findet das Magdeburger Urteil gut. Karge ist Jurist beim Verband der Internetwirtschaft eco, der die Polizei im Mai 2002 auf Marcel K.s Aktivitäten aufmerksam gemacht hatte. „Solche Menschen machen sich vor, dass sie sich ja nicht die Hände schmutzig machen.“ Aber die Nachfrage im Internet schaffe erst den Markt, für den die Bilder produziert und Kinder misshandelt würden. „Das Urteil ist ein deutliches Zeichen, dass auch die Verbreitung und der Besitz von Kinderpornografie kein Kavaliersdelikt sind.“

Von der Gartenlaube auf dem Grundstück seiner Großeltern im Jerichower Land bei Magdeburg hatte Marcel K. Internet-Communitys eingerichtet, über die sich Pädosexuelle Fotos und Videoclips anschauen konnten. Auf den Bildern war zu sehen, wie Kinder missbraucht und gefoltert wurden. Internetanbieter wie Microsoft stellen Nutzern freie Seiten zur Verfügung, auf denen sie Communitys gründen können. Der Gründer war in diesem Fall Marcel K. Er suchte die Bilder aus, entschied, wer in der Community mitspannen und tauschen durfte, und nahm Teilnehmern ihre Zugangsberechtigung wieder weg, wenn er ihnen misstraute. Wer Zugang zu der Community wollte, musste nicht bezahlen, sondern seinerseits Kinderpornobilder senden. „Als Manager hatte der Angeklagte die Macht über Inhalt und Mitglieder“, erklärte Vogt im Prozess.

Marcel K. ist 29 Jahre alt. Er hat auf dem Bau gearbeitet, war aber zuletzt arbeitslos. Er wuchs bei seinen Großeltern auf, seine Mutter war in den Westen gegangen, als er zwei Jahre alt war. Zum Vater hatte er kaum Kontakt.

Solche biografischen Daten helfen jedoch nicht viel, wenn man die Frage beantworten will, warum sich jemand tausende Seiten anschaut, auf denen sogar Säuglinge gequält werden. Denn unter den Männern, bei denen die deutschen Ermittler bei der Großrazzia im Herbst 2003 vor der Tür standen, sind auch ein Kindergärtner, mehrere Lehrer und fünf Polizeibeamte. Einige der Verdächtigen haben selbst Kinder missbraucht.