Kommentar von Benno Schirrmeister über Pflegetarife: Einseitige Einigkeit
Manchmal werden gute Vorhaben derart stark für Sekundärzwecke genutzt, dass sie das Hauptziel beschädigen. Die niedersächsischen Bemühungen um einen landesweiten allgemeinverbindlichen Tarif in der Altenpflege haben gute Chancen, in diese Kategorie zu fallen. Zwar spricht viel dafür, dass die AltenpflegerInnen in Niedersachsen nicht 500 Euro monatlich weniger verdienen sollten, als die in Bayern es tun. Und irrational wirkt es, wenn sich die privaten Altenpflege-Unternehmen so gegen einen Tarifvertrag wehren, dessen Mehrkosten am Ende doch wieder die Kommunen tragen.
Aber genau darum ist umso weniger verständlich, warum es nicht gelungen ist, auch nur eine der beiden Arbeitgeberorganisationen der Branche in die Verhandlungen einzubinden. Das schmälert nicht nur die Erfolgsaussichten. Es verleiht dem Vorhaben vor allem den Anstrich, als ginge es hauptsächlich darum, Einflusssphären zu erweitern und Marktstellungen abzusichern –und eben nicht so sehr um den Kampf für ArbeitnehmerInnenrechte. So nutzt die Gewerkschaft Ver.di die Tarifvertrags-Kampagne zur Mitgliederwerbung, die Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) zur Imagepolitur, und die Wohlfahrtsverbände haben ein Interesse daran, dass die private Konkurrenz auf dem umkämpften Altenpflege-Markt dieselben Wettbewerbsnachteile ausstehen muss wie sie – ohne Aussicht auf dieselbe Förderung zu haben.
So sitzen nun in Hannover lauter Leute zusammen, die kompatible Interessen haben und sich vor allem auf dieselben GegnerInnen einigen können: die privaten AnbieterInnen. Denen will man am Ende den ausbaldowerten Tarifvertrag überhelfen. Sollen die sich dafür bedanken und Ja sagen?
Für das Hauptziel ist das problematisch: Nach Stand der Auseinandersetzung spricht viel für ein Scheitern im Tarifausschuss. Wenn das passiert, rückt auch ein Tarifvertrag für die Altenpflege wieder in weite Ferne.
Bericht
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