Wie das Kaff, aus dem man einst entflohen ist: Berlin an Weihnachten
: Der Maria-und-Joseph-Effekt

Ausgehen und Rumstehen

von Andreas Hartmann

Die Stadt ist leer, alle sind sind sie fort zur Weihnachtszeit, und dieses Jahr ist es besonders schlimm. Nach zwei Weihnachtsfeiertagen kommt noch ein träger Sonntag obendrauf, den man jetzt eigentlich nicht auch noch bräuchte, weil man alle „Don Camillo & Pepone“-Filme und „Der kleine Lord“ bereits im Fernsehen gesehen hat.

Zwar gibt es Flohmärkte, aber selbst da ist nichts los, was schon beinahe gespenstisch wirkt. Auf dem Mauerpark-Flohmarkt steht kurz vor Mittag ein Typ mit seiner Kiste voller okayer Platten, die superbillig angeboten werden, aber kaum jemand zeigt Interesse. Mit ruhigem Puls kann man sich durchwühlen und nebenbei noch einen Kaffee trinken. So macht’s aber auch keinen Spaß. Man muss sich nicht ärgern, dass einem mal wieder andere die besten Stücke weggeschnappt haben, hat aber auch niemanden, dem man selbst die lange Nase zeigen kann, weil man vor ihm an der Kiste steht. Digging – das Jagen nach Platten – wird damit so spannend wie Brötchenkaufen, es wird also Zeit, dass die Konkurrenz zurück aus dem Weihnachtsurlaub kommt.

Niemand will mich

Berlin will ja gerne Metropole sein, aber an Weihnachten ist die Stadt wie das Kaff, aus dem man einst geflohen ist. Man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass in, sagen wir mal: New York, alles so deprimierend öde ist wie in Berlin zu dieser Zeit. Oder in London. Dort können sie sich wenigstens am zweiten Weihnachtsfeiertag mit Premier-League-Spielen beschäftigen, im Stadion oder im Pub, in Berlin hat an diesem Tag nicht einmal die Sauna auf.

Am allerdeprimierendsten ist es jedoch am Tag vor Heiligabend. Da ist man noch nicht so matschig und träge von all den Helene-Fischer-Weihnachtsgalas und hat noch nicht ganz generell auf Jogginghosen-Modus gestellt, aber das hilft alles nichts. Niemand will einen, niemand gewährt einem Einlass. Schon wenn man noch mittags ein schlichtes Grillhähnchen irgendwo bekommen möchte, ergeht es einem ähnlich wie einst Maria und Joseph: Überall steht man vor geschlossenen Türen.

Abends genauso: Einer checkt auf dem Handy, welche Läden denn überhaupt aufhaben, und nennt lauter Namen, von denen wir alle noch nie vorher gehört haben. Wir landen dann in der Ankerklause – Traditionsladen, da geht immer was, denken wir. Wir stapfen vorbei an all den Neuköllner Szenekneipen, die geschlossen haben, weil deren Betreiber wahrscheinlich gerade auch noch den Tannenbaum schmücken müssen oder vielleicht in New York einen draufmachen, und dann ist es in der Ankerklause kaum anders, als wäre sie ebenfalls dicht. Da wird nicht erhobenen Hauptes gegen das Gefühl angetrunken, die einzigen Zurückgebliebenen in einer verlassenen Stadt zu sein, sondern schon vor Mitternacht herrscht eine deprimierende Rausschmeißatmosphäre.

Schnell weg, aber im Monarch ist es dann kein Stück besser. Ein paar traurige Gestalten hocken mit glasigen Blicken an der Bar, und es wird einem gleich mitgeteilt, um halb zwei sei hier aber auch Schluss. Vielleicht geht in diesen Läden, von denen wir noch nie gehört haben, dann noch richtig die Post ab. Wir werden es jedoch nicht mehr herausfinden.