„Kunst ist geistiges Kapital“

Auf der Art Cologne, die gestern eröffnete, zahlen Sammler oft kleine Vermögen für Kunstwerke. Die Gesellschaft als ganze profitiert von Kunst, nur die Künstler können selten davon leben, sagt die Ver.di-Fachfrau Usa Beer. Sie fordert eine Vermögenssteuer zur Förderung von Kunst und Künstlern

INTERVIEW SUSANNE GANNOTT

Frau Beer, würden Sie auf der Art Cologne ein Bild kaufen?

Usa Beer: Ich würde schon. Aber ich kann mir das nur leisten, wenn ich vorher sehr viel spare.

Das dürfte den meisten Messebesuchern so gehen...

Das stimmt so nicht. Für uns Künstler ist das richtig, denn in der Masse leben wir unter der Armutsgrenze. Die wenigen berühmten und reichen Künstler verzerren das Bild. Das Durchschnittseinkommen von Künstlern liegt bei 11.000 Euro brutto im Jahr. Nur vier Prozent der bildenden Künstler in Deutschland können von ihrer Kunst leben, der Rest muss sich mit Jobs über Wasser halten. Darum können wir uns Kunst gar nicht leisten, wir tauschen allenfalls mit Freunden. Aber wenn sich Durchschnittsverdiener – sagen wir Lehrer, Ärzte, Handwerksmeister – ein Auto kaufen können, dann können sie auch ein Bild kaufen. Das ist eine Frage der Einstellung, ob einem Kunst wichtig ist oder nicht.

Aber warum ist „gute“ Kunst eigentlich so teuer?

Erst einmal sind Künstler meistens Akademiker und haben Geld in ihr Studium investiert. Dazu kommt die oft jahrelange Aufbauarbeit: Künstler müssen ihr Atelier bezahlen, sie fahren herum, akquirieren eine Ausstellung. Dann machen sie die Ausstellung, haben Materialkosten. Sie sind also lange in Vorleistung gegangen und haben meistens nichts verkauft oder nur kleinere Sachen, von denen sie nicht leben können. Bis dann ein Galerist kommt und sie entdeckt. Dann baut der Galerist sie auf – und das ist auch noch keine Gewähr, dass da finanziell die Post abgeht. Diese ganze Arbeit, die man über Jahre für lau in die Kunst steckt, drückt sich in solch hohen Preisen aus.

Was macht ein Künstler, der gar keine Jobs findet: Bekommt der Arbeitslosengeld II?

Im Grunde schon, wobei es da am Anfang einige Streitigkeiten gab. Es wurde nämlich gesagt, dass die Arbeiten der bildenden Künstler, die sie auf Lager haben, angerechnet werden als Kapital. Das hätte dann geheißen: „Verkaufen Sie erstmal ihr Zeug, vorher kriegen Sie keine Unterstützung.“ Was natürlich völliger Blödsinn ist: Die Arbeiten stehen ja im Lager, weil sie nicht verkäuflich sind. Das haben die Arbeitsagenturen inzwischen zum Glück eingesehen.

Sie fordern nun eine Änderung des Urheberrechts, damit Künstler eine Vergütung von den Ausstellern bekommen, die ihre Werke zeigen. Sie sagen, dass sei nicht nur für Künstler wichtig, sondern für den Kulturbetrieb als Ganzes. Warum?

Wenn die Künstler besser gestellt wären, müssten sie nicht irgendwelche Hilfsjobs machen, für die sie schlecht bezahlt werden, weil sie etwas anderes als Kunst ja nicht gelernt haben. Und wenn sie von der Arbeit kommen, sind sie fertig und können gar keine Kunst mehr machen, weil sie den Kopf nicht frei haben. Viele Künstler geben darum in den ersten Jahren auf. Das ganze geistige Kapital geht also verloren. Dabei kann sich der Staat das gar nicht leisten, gut ausgebildete Leute im Regen stehen zu lassen, so dass sie ihre Fähigkeiten nicht mehr ausspielen können.

Aber wer würde noch unbekannte Künstler ausstellen, wenn er dafür zahlen müsste?

Das ist das nächste Problem. Die Kunstvereine sträuben sich vehement dagegen – was verständlich ist, weil sie oft auch aus dem letzten Loch pfeifen. Galerien sind von der Ausstellungsvergütung allerdings ausgenommen, weil sie ja nicht verkaufen können, wenn sie die Arbeiten nicht zeigen. Aber Museen oder größere Kunstvereine, die bezahlen den Hausmeister, die Putzfrau, alle bekommen Geld – nur die Künstler nicht. Das kann nicht sein! Natürlich stellt sich die Frage, wo die Museen das Geld für die Vergütung hernehmen sollen. Aber das ist nicht das Problem der Künstler, das müssen sich die entsprechenden Stellen überlegen. Nicht zuletzt die Politik, die ein Interesse daran hat, dass es Künstler gibt. Die haben doch einen Bildungsauftrag! Das ist eine geistige Ebene, die gefüttert werden muss. Und diese ständige Sorge ums Geld ist für die Kunst ganz ungesund, weil sie dann ihre eigene Stärke nicht ausspielen kann: nämlich die Gesellschaft zu reflektieren, zu kommentieren und Ausblicke zu ermöglichen.

Die Kunst zu bewahren, mag eine öffentliche Aufgabe sein. Aber was kann die Politik angesichts der leeren Kassen tun?

Es ist nicht nur die Politik. Die Leute haben auch privat ein Interesse an Kunst, an Theater, Literatur. Niemand will in einer Stadt wohnen, in der es kein Kulturangebot gibt. Das heißt auch, es gibt ein Interesse der wirtschaftlichen Kaste einer Stadt an Kultur, denn sonst kommt keiner in die Hotels, Restaurants, Geschäfte. Hinzu kommt, ich zitiere das Grundgesetz, Artikel 14: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“

Sie meinen, die Besitzenden sollen mehr für Kultur zahlen?

Auf jeden Fall. Es hat noch nie so viel Privatkapital gegeben wie heute. Und die Schere zwischen Reichen und Armen klafft weiter auseinander. Deshalb sage ich: Wir brauchen eine Grundsicherung für alle, also auch für Künstler. Drauf gesattelt wird dann noch eine leistungsbezogene Bezahlung. Ich bin kein Freund des Modells, das es in Holland gab, wo den Künstlern einmal im Jahr eine Arbeit abgenommen wurde und dafür haben sie monatlich ihr Salär bekommen.

Also wir enteignen die Reichen und leisten uns dafür Grundsicherung und Künstler?

Wenn Sie Enteignung schreiben, fassen sich Ihre Leser natürlich an den Kopf. In der Politik wird das als Vermögenssteuer diskutiert. Aber es ist nicht schlecht, an den Gedanken der Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu erinnern. Es geht ja offenbar nicht von alleine. Heute hat ein Großindustrieller eine Kunstsammlung, gibt sie einem Museum und setzt sich so ein kostenloses Denkmal. Und meist steckt bei den Sponsoren natürlich ein Nutzengedanken dahinter: Sie wollen eine Gegenleistung, wollen sich womöglich sogar inhaltlich einmischen. Und dann klebt noch überall das Logo einer Marke drauf. Das ist doch grauenhaft! Die Kunst muss frei sein.

Könnten nicht auch der Kunstmarkt und Messen wie die Art an der Finanzierung der Kultur beteiligt werden – etwa über eine Art Verkaufssteuer?

Es ist ja so, dass bei jedem Wiederverkauf eines Bildes, also nicht beim Erstverkauf wie es auf der Art Cologne meist der Fall ist, fünf Prozent an den Urheber zurück fließen. Allerdings erlischt dieses Folgerecht siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers. Nun gibt es den Vorschlag, die fünf Prozent als „Goethegroschen“ auch nach dieser Zeit zu erheben und damit eine Zusatzversorgung für Künstler und die Förderung der Kunst zu bezahlen. Alte Meister würden also die Jungen fördern. Dann würde die Kultur sich selbst und ohne „Almosen“ finanzieren können.

Fordern Sie das als Künstlerin oder als Gewerkschafterin?

Beides. Ohne Gewerkschaft werden Künstler nicht weit kommen. In Punkto Ausstellungsvergütung und Goethegroschen hatte Ver.di die letzte Bundesregierung übrigens schon fast überzeugt. Jetzt müssen wir allerdings wieder von vorne anfangen. Bei den Koalitionsverhandlungen kämpfen wir zum Beispiel dafür, dass Kunstwerke von der diskutierten Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgenommen werden. Alles andere wäre gerade für die kleinen Künstler fatal.