piwik no script img

Der Aufschwung ist gleich um die Ecke

Kino Lachen im Schatten der Großen Depression: Die Reihe „Pursuits of Happiness: Screwball Comedy“im Kino Arsenal zeigt die Vielfalt der Hollywood-Komödien der 30er und 40er Jahre

Die Filme sind durchzogen vom Elend und doch optimistisch, leicht, charmant

von Fabian Tietke

Ein Schuss, ein Blick durch die angelehnte Zimmertür: In Pantoffeln liegt Nick Charles (William Powell) auf dem Sofa und schießt mit einem Luftgewehr Ballons vom Weihnachtsbaum. Nicks Frau, Nora (Myrna Loy), schaut ihm dabei zu. Einer der größten Stars des US-Kinos der 1930er Jahre, der Tierdarsteller Skippy, schaut kurz zu und knickt resigniert ein Ohr ab.

Diese Geste aus W. S. Van ­Dykes Krimikomödie „The Thin Man“ von 1934 fasst den Geist der Screwballkomödien recht präzise zusammen. Benannt wurden diese Komödien jedoch nicht nach Skippys Ohr, sondern nach einer Bezeichnung für einen angeschnittenen, unberechenbaren Ball im Baseball: den screwball. Eine Filmreihe mit dem treffenden Titel „Pursuits of Happiness“ im Kino Arsenal bringt ins Bewusstsein zurück, welch bezaubernde weite Welt sich hinter der Genrebezeichnung verbirgt.

Was im Leben wirklich zählt

Im Mai 1934, kurz vor Einführung der moralinsauren Zensurauflagen des Hays-Codes, feierte Frank Capras „It Happened One Night“ Premiere. Capras Film folgt der Millionärstochter Ellen Andrews (Claudette Colbert), die gegen den Willen ihres Vaters geheiratet hat und nun zu ihrem Mann nach New York will. Während ihr Vater für die Annullierung der Ehe kämpft, steigt Ellen in den Bus nach New York und wacht am nächsten Morgen an der Schulter des Journalisten Peter Warne (Clark Gable) auf.

Ellen bleiben nur die wenigen Tage der Reise von Küste zu Küste, um sich zwischen ihrem Mann und Peter Warne, zwischen einer Heirat auf sozialer Augenhöhe und einer Liebesheirat, zu entscheiden. Capras Film gilt als einer der Anfänge der Screwballkomödien, und in der Tat sind in dem Film schon alle Elemente vereint.

Wie „It Happened One Night“ leben zahlreiche der Komödien von Begegnungen zwischen sozialen Realitäten und der Frage, was im Leben wirklich zählt. Wie Capras Film sind auch die anderen durchzogen vom Elend der Großen Depression und doch optimistisch, leicht, charmant. Eine Dialogzeile aus Gregory La Cavas „My Man Geoffrey“ beschreibt das treffend: „Der Aufschwung ist gleich um die Ecke.“ – „Wirklich? Da ist er aber schon eine ganze Weile. Ich wünschte, ich wüsste, um welche Ecke.“

Zwei Jahre zuvor hatte La Cava inmitten der Großen Depression einen der zentralen Personenkultfilme voller Hoffnung auf einen neuen starken Mann im Weißen Haus gedreht: „Gabriel Over the White House“. Dessen autoritärer Volksbeglückungston findet sich als anmaßend-arroganter Grundton in „My Man Geoffrey“. Nur mit Mühe gelingt es La Cava, sich die Gesellschaftssatire um zwei verwöhnte Töchter einer Park-Avenue-Familie, die von einem ehemals obdachlosen Butler Anstand beigebracht bekommen, nicht selbst zu vermasseln.

Liberale Regisseure wie George Cukor scheinen die gesellschaftliche Lage der Zeit nach der Depression mit einer sich allmählich stabilisierenden Wirtschaft deutlich klarer erfasst zu haben. Was in Capras „It Happened One Night“ noch als märchenhafte Suche nach dem richtigen Mann fürs Leben auftaucht, entfaltet in Cukors „Holiday“ von 1938 Sprengkraft.

Im Zentrum von „Holiday“ steht eine Dreieckskonstellation: Johnny Case (Cary Grant), der gerade dabei ist, zum ersten Mal im Leben über ein wenig Geld zu verfügen, verliebt sich im Urlaub in die Oberschichtstochter Julia Seton (Doris Nolan). Johnnys Vorhaben, mit dem Geld auf Reisen zu gehen und sich die Frage vorzulegen, wozu er Geld verdienen sollte und wo er im Leben hinwill, stößt bei Julia auf wenig Verständnis. Während Julia darauf hofft, dass sich Johnny noch in das auf Repräsentativität und die Jagd nach Reichtum bedachte Leben fügen wird, ist er für ihre Schwester Linda (Katherine Hepburn) ein frischer Windzug im muffigen Museum ihres von Zwängen bestimmten Lebens.

„Holiday“ ist ein Film über die Kompromisse des Lebens, die Last der Verpflichtungen und den Mut auszubrechen. George Cukor balanciert auf brillante Weise schnelle, bissige Dialoge mit behäbiger Erstarrung zu einem Kampf der Lebensstile aus. Auch in dieser Hinsicht erweist sich der Film als hellsichtig: Johnnys Verhalten ist in den Augen von Vater Seton „unamerikanisch“. Uraufgeführt wurde „Holiday“ im gleichen Jahr, in dem das „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ gegründet wurde, das einige wenige Jahre nach Naziverstrickungen in den USA suchte und danach lange Jahre das zentrale Instrument einer antikommunistischen Hexenjagd wurde.

Kollektive Selbstsuche

„Holiday“ ist freilich auch eine fantastische romantische Komödie. Mit spitzen Kommentaren zum Muff in ihrer Familie versucht Linda, dem verliebten Johnny die Augen zu öffnen und ihn vor der Erstarrung zu warnen. Die zentrale Kommunikation zwischen Johnny und Linda findet jedoch auf einer anderen Ebene statt: in Lindas Lieblingszimmer inszenieren die beiden eine kleine artistische Einlage für Freunde von Johnny.

Wie beiläufig warf die Screwballkomödie das Schauspiel und den Humor der Stummfilmzeit über den Haufen und balancierte Körper und Stimme der Schauspieler, vor allem aber der Schauspielerinnen, neu aus. Wie beiläufig klingt in den Filmen die individuelle und kollektive Selbstsuche der Jahre des Aufschwungs an. Wie beiläufig entstand dabei eine Form, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat.

„Pursuits of Happiness: Screwball Comedy“, 2. Dezember 2015 bis 30. Januar 2016, Kino Arsenal, www.arsenal-berlin.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen