Babylon Sat.1

Hauptstadt Der kuschelige Privatsender schickt noch vor der ARD und Sky einen Kommissar in die 20er Jahre (20.15 Uhr, „Mordkommission Berlin 1“)

Kriminalassistent Ruppert (Frederick Lau) und Sekretärin Kampe (Emilia Schüle) hauen ab Foto: Jan Hromadko/Sat.1

von Jens Müller

Gut geklaut ist halb gewonnen? Während aktuell wahlweise die 80er oder 90er Jahre zur zweitaufregendsten Zeit in Berlin erklärt werden, bleiben die Goldenen Zwanziger, das wusste auch David Bowie, ein nie wieder erreichtes Ideal. „Das ganze Panoptikum […] zwischen Drogen und Politik, Mord und Kunst, Emanzipation und Extremismus“, wie es Regisseur Tom Tykwer vorschwebt, der schon seit geraumer Zeit an seinem Projekt „Babylon Berlin“ werkelt. Doch eine TV-Serie auf internationalem Niveau will finanziert sein. Daran hakt es, obwohl Sky und die ARD an Bord sind und die Adaption eines bereits in der Literatur erfolgreichen Helden das Risiko mindern sollte: Die Krimis rund um den Kriminalkommissar Gereon Rath erfand der Schriftsteller Volker Kutscher nach dem Vorbild der einst tatsächlich erstaunlich erfolgreichen Zentralen Mordinspektion in Berlin unter dessen Chef Ernst Gennat (der in den Kutscher-Büchern neben Rath eine wesentliche Rolle spielt). Aufklärungsquote von Gennats Abteilung 1931: 95 Prozent. Mehr geht auch heute nicht.

Und eben dieser Ernst Gennat war auch die Vorlage für Kommissar Paul Lang, den Helden im „großen Sat.1-Event“ ­namens „Mordkommission Ber­lin 1“. Ein Film, keine Serie, und als solcher von einem inspirierten Privatsender auch viel schneller auf den Markt gebracht als Tykwers groß gedachte ARD-Sky-Serie. Nutzt Sat.1 also das H & M-Prinzip mit den Mitteln des Rundfunks?

Nun, wenn „Mordkommission Berlin 1“ mitunter etwas billig daherkommt, dann hat das wohl weniger finanzielle Gründe. Die sehr schicke historische Ausstattung war bestimmt nicht günstig. Die Annäherung an den Filmstil der Zeit – Irisblenden und expressionistisch harte Schatten – sind gewiss charmant gemeint. Woran liegt es also, dass sie so anbiedernd und billig wirken? Vielleicht an einem notorischen Zuviel. Diesen Totalen, in denen ein Scheinwerfer vom Funkturm über das nächtliche Berlin schwenkt, als wäre es Gotham City. Da liegt ein ermordeter Staatsanwalt im Krokodil-Planschbecken und das Wasser ist so rot als hätten die Archosaurier den ganzen Justizapparat gefressen. Das hätte Technicolor damals nie hinbekommen. Nahe liegt der Schluss, auf den Regisseur zu zeigen: Marvin Kren hat sich zuvor mit Horrorfilmen („Rammbock“, „Blutgletscher“) einen Namen gemacht.

Aber: Es könnte auch daran liegen, dass in einem Film halt lieber schnell behauptet als lang erzählt wird (wie in einer Serie): „Sie sind auskuriert, Lang. Der Schmerz, den Sie mit diesem Zeug bekämpfen, kommt nicht von Ihrer Wunde.“ Der Schmerz kommt davon, dass Frau und Tochter des Kommissars einst ermordet wurden. Bestimmt hätte aber ein Friedrich Mücke andere, subtilere schauspielerische Möglichkeiten, den Verlust, die Verbitterung anschaulich zu machen, als sich immer wieder vor Schmerz zu krümmen. So wie der erwiesene Ausnahmeschauspieler Tobias Moretti, der Mückes Nemesis gibt, mehr könnte als das denkwürdig diabolischste Gesicht aufzusetzen seit Peter Lorre in Fritz Langs „M“.

Zu viele Motive aus dem Klamottengenre in einem Film, der nicht als fetzige Klamotte gemeint ist

Es liegt an der bloßen Aneinanderreihung der allzu erwartbaren Motive, der arg ungelenken Zitiererei, dass das „Berlin 1“-Panoptikum sich als Potpourri erweist. Arndt Stüwe und Benjamin Hessler (Buch) plündern fröhlich den Filmkatalog auf der Jagd nach den denkwürdigsten Höhepunkten der größten Filmjuwelen. Das Finale in der Kanalisation haben sie dem „Dritten Mann“ entnommen. Aber natürlich frei variiert. So entstehen Motive aus dem Klamottengenre in einem Film, der nicht als fetzige Klamotte gemeint ist und als ironischer Genremix nicht aufgeht.

Fazit: Viel geklaut ist noch lange nicht gut geklaut. Ein bestimmt nicht billiger Film kann billig aussehen, sogar blutleer wirken, wenn dem kirschroten Filmblut zum Trotz das Herzblut fehlt und das Varieté-Programm kunstlos arrangiert ist. Und Tom Tykwer muss sich nicht grämen.