Ambivalentes Idyll

Stimmung Die heimelige Atmosphäre des Weihnachtsmarkts im Lübecker Heiligen-Geist-Hospital hat wenig mit dem einstigen Massen-Krankenlager zu tun

Mindestens so prächtig wie Lübecks Kirchen: Fresken im Heiligen-Geist-Hospital   Foto: Torsten Bolten/Wikimedia

von Petra Schellen

Beten und Leben waren eins im mittelalterlichen Lübeck – aber war das wirklich schön? Es muss ziemlich gerochen und gelärmt haben im 1286 erbauten Heiligen-Geist-Hospital, und dass es beim Gottesdienst in der Kirche nebenan besonders ruhig zuging, ist nicht zu vermuten. Denn auf eine scharfe Trennung von Leben und Spiritualität war das Gebäude einer der ältesten Sozialeinrichtungen Europas nicht ausgerichtet: Das war eher eine Art kollektive Alten- und Krankenbewahranstalt, in der 170 Personen lebten, beherbergt in Bettenreihen im Langhaus gleich neben der (nicht abgetrennten) Kirchenhalle.

Das kürzlich restaurierte Hospital, eins der am besten erhaltenen backsteingotischen Gebäude Norddeutschlands, ist auch in diesem Jahr Veranstaltungsort des Kunsthandwerker-Weihnachtsmarkts. Aber was sich heute als Idyll präsentiert, hat mit der einstigen Atmosphäre wenig zu tun: Streng ging es zu; wer eintreten wollte, musste sein Vermögen dem Spital überschreiben, Keuschheit und Einheitskleidung waren Gebot. Auch beten musste man, und nicht zu knapp. Zwar ist umstritten, ob es genau sieben Vaterunser waren, die die Bewohner täglich für ihrer Wohltäter sprechen mussten, aber etliche werden es schon gewesen sein.

Wer die edlen Spender waren? Reiche Kaufleute der wohlhabenden Hanse-Hauptstadt Lübeck, die all jenen helfen wollten, die nicht in der Familie versorgt wurden; schon damals ein Problem der Städte. Zudem suchten sie durch pekuniären Einsatz dem Fegefeuer zu entgehen und Gott quasi zum Schuldner zu machen – wie ein Kaufmann eben denkt. Und damit Gott keinen vergaß, ließen sich die Spender auf Heiligengemälden gleich mitverewigen oder – wie Mitgründer Bertram Morneweg – in einem Porträt-Medaillon verewigen.

So weit, so gut, aber ganz klar ist nicht, was genau in jenen Gründungsjahren vorfiel. Da wäre einmal der Name: „Heiligen-Geist-Hospital“ deutet auf die Brüder vom Orden des Heiligen Geistes, eines 1180 in Frankreich gegründeten, vom Papst anerkannten Ritter- und Pflegeordens, der ein Haupthaus in Rom unterhielt und dem etliche Klöster in Europa unterstanden, 750 davon in Deutschland.

Anderen Quellen zufolge hat Lübeck das Heiligen-Geist-Hospital zunächst dem Deutschen Orden unterstellt – auch er ein Ritterorden. Lübeck unterhielt damals exzellente Beziehungen zum Deutschen Orden; die Stadt wurde sogar wichtigster Ausschiffungshafen für Kreuzfahrer, die für ihre brutalen, wenig christlichen Missionsmethoden etwa im Baltikum bekannt wurden.

In Lübeck erwähnt man das nicht gern; sowohl Bauhistorikerin und Spital-Kennerin Margrit Christensen als auch Klaas-Peter Krabbenhöft, Chef der Stiftung Heiligen-Geist-Hospitel, halten sich bedeckt. Der Deutsche Orden sei durch die Kreuzzüge halt in der Krankenpflege bewandert und daher als Spitalsbetreiber geeignet gewesen, heißt es. Und schon gar nicht will Krabbenhöft die Stiftung als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Ordens sehen – jene Stiftung, die bis heute von den Übereignungen der einstigen Bewohner zehrt und Stiftsgüter, Erbbaurechtsgrundstücke sowie Anteile an Windkraftanlagen, den Lüneburger Salinen sowie Kapitalvermögen verwaltet.

Die Rolle des umstrittenen Deutschen Ordens wird schamhaft verschwiegen

Auch wie es dem Hospital während der Reformation ab 1517 erging, ist verblüffend unerforscht: Es sei halt „verweltlicht“ worden, sagt Bauhistorikerin Christensen. Andererseits ist bekannt, dass der letzte öffentliche Gottesdienst 1806 stattfand; wer das Haus zwischenzeitlich betrieb, bleibt vage.

Fest steht allerdings, dass man die offenen Betten des Langhauses 1820 gegen hölzerne, sechs Quadratmeter große „Kabäuschen“ tauschte. Damit konnten zwar weniger Menschen dort wohnen, aber es war hygienischer und erlaubte einen Hauch Privatsphäre. Die kam so gut an, das die letzten Bewohner bei der Auflösung des Spitals 1970 nur widerwillig wegzogen. Seither sind Kirchenvorhalle und Langhaus Museum, während ein Nebenflügel ein privates Pflegeheim für 80 Personen birgt.

Weil die „Kabäuschen“ nun aber ungenutzt und so gemütlich sind, kam der Lübecker Zweig des Deutschen Verbandes Frau & Kultur 1968 auf die Idee, den bis dato in einem Hotel abgehaltenen Weihnachtsmarkt ins Heiligen-Geist-Hospital zu verlegen. So geschah es: 200 Ehrenamtliche organisieren seither alljährlich den zweiwöchigen internationalen Kunsthandwerker-Weihnachtsmarkt. Die Kriterien für Aussteller sind hart: Jeder muss eine Ausbildung in seinem Gewerk haben und sich dem Urteil einer Jury stellen. Und das Konzept funktioniert: Über 50.000 Besucher kommen pro Jahr, und der Reinerlös geht an Lübecker soziale und kulturelle Projekte.

Kunsthandwerkermarkt im Heiligen-Geist-Hospital Lübeck: 27. 11. bis 7. 12. 2015