Nichts falsch gemacht – aber zu wenig

FRIESENHOF Externer Gutachter entlastet Schleswig-Holsteins Sozialministerin. Der Heimaufsicht attestiert er kein Versäumnis. Rechtslage müsse geändert werden

Nichts unversucht gelassen: Was die im Sommer geschlossenen „Friesenhof“-Heime angeht, hat die schleswig-holsteinische Aufsichtsbehörde alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Zu dieser Erkenntnis kam zumindest der Koblenzer Sozialwissenschaftler Christian Schrapper am Freitag in Kiel. Im Auftrag von SPD-Sozialministerin Kristin Alheit hatte er 21 Aktenordner zur Sache, insgesamt 3.650 Seiten, untersucht.

Sein Fazit: An keiner Stelle sei erkennbar, dass „den zahlreichen Hinweisen auf eine problematische Betreuungspraxis in den Einrichtungen des Trägers Friesenhof nicht unverzüglich und entschieden nachgegangen worden ist“, erklärte der Gutachter. „Mehr hätte die Heimaufsicht auch anderswo nicht tun können“, führte er aus –aber „gleichwohl hat es nicht gereicht.“

Kommenden Montag tagt im Kieler Landtag erstmals öffentlich der Parlamentarische Untersuchungsauschuss (PUA) zu dem umstrittenen Dithmarscher Jugendheim-Betreiber. Die Friesenhof-Häuser waren geschlossen worden, nachdem gravierende pädagogische Mängel bekannt geworden waren. Der Ausschuss wird zunächst eine Familienrichterin und einen Kinderpsychiater als Zeugen hören – beide hatten vor dem Friesenhof gewarnt.

Ganz ohne Kritik zu üben kam Schrapper, der bundesweit Erfahrung mit der Aufarbeitung von Jugendhilfe-Skandalen hat, indes nicht aus: In den 15 Jahren seit Gründung des Trägers seien in mehreren Wellen insgesamt 150 Beschwerden geäußert worden. Die Kieler Heimaufsicht habe auf eine Kette von Ereignissen zwar korrekt, aber „jeweils nur singulär reagiert“, sagte Schrapper. Die Behörde habe aber keine Vorstellung über die Entwicklung dieses Trägers erarbeitet – das habe die Chancen geschwächt, „nachhaltig auf eine Veränderung der auf Einschüchterung, Zwang und Unterwerfung basierende Betreuungspraxis Einfluss zu nehmen“.

Friesenhof-Inhaberin Barbara Janssen habe zwei Mädchen-Camps nach dem Vorbild des zum Heimleiter avancierten Ex-Boxers Lothar Kannenberg eingerichtet – für Schrapper ein Unding: „Die kindliche Seele ist kein Muskel, der trainiert werden muss.“ Gegen die Heimaufsicht habe Janssen sich früh mit Hilfe eines versierten Anwalts gewehrt. So auch im Januar 2015, als das Landesjugendamt dem Friesenhof scharfe Auflagen erteilte und unter anderem Kontaktverbote, Anschreien, strafweise zu absolvierenden Sport und nächtliches Wecken untersagte. Dagegen reichte Janssen Klage ein und setzte eine wesentlich abgeschwächte Vereinbarung durch. Spätestens da, so Schrapper, hätte die Aufsicht selbst eine „externe rechtliche“ oder auch „fachlich-pä­dagogische“ Expertise einholen müssen.

Vehement forderte der Experte nun eine Änderung des Sozialgesetzbuchs VIII an: Die Heimaufsicht sei juristisch zu schwach und mehr als Beratung konzipiert. Zurzeit sei es schwer, einer Einrichtung eine Kindeswohlgefährdung nachzuweisen, weil hier die Kriterien des Paragrafen 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs angewandt würden: Das ist die Schwelle, wenn Kinder aus ihrer eigenen Familie genommen werden.

Heime aber müssten leichter zu schließen sein, so Schrapper. Die Frage, ob etwa eine Betriebsgenehmigung entzogen wird, solle sich an Paragraf 1631b BGB orientieren: Der sichert Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung und bezeichnet etwa körperliche Bestrafungen, seelische Verletzung und entwürdigende Maßnahmen als „unzulässig“. KAJ