Berlinmusik

Kakteen und Chansons

Dreckige Fingernägel zupfen eine Gitarre, schwere Rocker lenken ihre Maschinen über einsame Landstraßen, geleerte Bierbüchsen fliegen an unschuldige Köpfe, Holz wird gehackt. Sieben Minuten lang ist „Volllast“ und der dazugehörige Videoclip rekapituliert ein paar schöne alte Klischees, die gut zum zähflüssigen, gitarrenlastigen Instrumental-Rock von Rotor passen. Aber es wird eben auch Torte gegessen in dem kleinen Filmchen, Blümchen werden gepflückt, auf Äckern ausgesät und der Campingtisch mit einem niedlichen Kaktus garniert. Aber auch das ist zielgenau. Denn auf ihrem neuen Album „Fünf“ brechen Rotor auch immer wieder gern die eigenen Formeln.

Man muss vorsichtig sein mit Superlativen, aber Rotor sind weltweit wohl tatsächlich konkurrenzlos, indem sie die musikalische Ästhetik des Stoner Rock mit der Attitüde des Krautrock verknüpften. Die 1998 als Trio in Berlin gegründete, heute als Quartett agierende Band klingt nun seit fünf Alben so, als wurden Can versuchen, Black Sabbath und die Queens of the Stone Age in den Schatten zu stellen.

Mittlerweile haben sich Rotor, die die Identität der Bandmitglieder geheim halten, eine treue Gefolgschaft erspielt, die die Diskrepanz zwischen brachialem Klangbild und komplexen Strukturen zu schätzen weiß. Vollgefressen pumpt der Bass, Gitarren fräsen sich durch Riffs, und das Schlagzeug hält stoisch den Takt, wenn nicht gerade ein verwegener Rhythmuswechsel oder eine neue, ausgefallene Harmonie ansteht. So souverän mit Monotonie und deren Brechungen spielt wohl keine andere Band.

Noch ein Videoclip, diesmal für „Daumenklavier“, einem Song von „Unter Eis“, dem zweiten Album des Berliner Singer-Songwriters Stephan Noë: Schwarz-weiß, Noë singt über den Dächern von Berlin, die Band spielt in einem Boot auf einem Berliner See oder in einem Berliner Park. Sehr schlicht, ganz konzentriert auf die sanft daherschleichende Musik und auf den darüber deutlich hörbaren Gesang. Ein anderer Song heißt „Sommer in Berlin“ und in dem singt Noë davon, dass der Sommer hier mitunter ganz schön regnerisch sein kann. Man merkt: Der Mann kennt sich aus, ebenso wie mit Beziehungen und Alltagsproblemen, die er versiert in Verse fasst. Das Ergebnis: Schöne Chansons über und für Berlin.

THOMAS WINKLER

Rotor: „Fünf“ (Noisolution)

Noë: „Unter Eis“ (Dingja/ Broken Silence)