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Das ewige Tummeln an der Oberfläche

Konzeptkunst, Videoinstallationen und popkulturelle Wartezimmer: In der Londoner Tate Britain sind die Arbeiten der Turner-Prize-Kandidaten 2005 zu sehen. Die Auswahl wirkt dieses Jahr merkwürdig verspätet und wenig relevant. Favoritin für den Preis ist die 34-jährige Malerin Gillian Carnegie

Simon Starling empfängt mit einem riesigen HolzschuppenBei Jim Lambie fühlt man sich wie in der Empfangshalle von MTV: alt und leer

VON JULIA GROSSE

Das Konzeptuelle lauert auch beim diesjährigen Turner Prize direkt im ersten Raum. Wie ein selbsternannter Politiklehrer versorgte dort 2004 der spätere Gewinner Jeremy Deller die Besucher reichlich mit künstlerischem Denkmaterial. Simon Starling empfängt uns nun zunächst mit einem riesigen Holzschuppen. Starling hatte ihn in der Nähe von Basel gefunden, auseinander genommen und zu einem Boot umgebaut, auf das er die überzähligen Teile lud und so ins Museum für Gegenwartskunst in Basel verfrachtete, wo er das Ganze wieder auseinander nahm und als Schuppen aufbaute.

Die Vorstellung, dass Starling mit Konzeptkunst den Fluss bezwang, ist reizvoll. Leider zeigt die Schau keine Bilder von der Reise. Stattdessen lässt Starling den Betrachter, ähnlich wie Deller, mit komplizierten, viel zu langen Projektbeschreibungen und den leblosen Relikten allein.

Bei Starling, wohnhaft in Glasgow und Berlin, hat man das Gefühl, er verfange sich allzu selbstverloren in der Idee des ewigen Kreislaufes. So entstehen absurde Arbeiten wie „Burntime“ (2000), ein Hühnerhaus nach dem Modell der Ostertorwache in Bremen, das erst ein Gefängnis war, bevor es in ein Museum für den Bauhaus-Designer Wilhelm Wagenfeld umgewidmet wurde, der unter anderem auch einen Eierkocher entwarf. Starling verbrannte also das Hühnerhaus, das so den Brennstoff lieferte, um die dort gelegten Eier in einem Wagenfeld-Eierkocher zuzubereiten. Selbstversorgung mit Hilfe der Chiffren der Moderne?

In Darren Almonds Videoinstallation „If I had you“ kehrt dessen verwitwete Großmutter an den Ort ihrer Flitterwochen zurück, begleitet von der Musik von Aphex Twin, von dem gesagt wird, er klänge wie Karlheinz Stockhausen in schnell. Die Promenade von Blackpool ist geisterhaft leer, im Tower Ballroom tanzt einsam ein Paar. Almond ist ein Meister im Zerlegen von Zeit, im behutsamen Materialisieren verborgener Erinnerung. So ist er gerade zeitgleich in der Londoner Hayward Gallery mit seiner Videoarbeit „Oswiecim March 1997“ zu sehen. Sie zeigt Menschen an Bushaltestellen in Oswiecim, ehemals Auschwitz, und verdeutlicht die beklemmende Bedeutung des Begriffs Transport. Bei „If I had you“ erwartet man aufgrund des biografischen Aspekts eine intensive Stimmung. Doch die Arbeit bleibt merkwürdig an der Oberfläche.

Eigentlich müsste dieses Jahr ohnehin Gillian Carnegie das Rennen machen. Denn die 34-Jährige malt. Und sie ist eine Frau. Die letzte Turner-Preisträgerin war Gillian Wearing, 1997. Zudem wäre es ein willkommener Paradigmenwechsel, ein finaler, vielleicht etwas verspäteter Triumph der Malerei. Carnegie dekliniert sich durch die Genres, malt Akt, Landschaft, Stillleben – was sonst soll man als junger Künstler mit der Malerei derzeit noch Geniales anstellen? Carnegies Bilder könnten demnach unterschiedlicher nicht sein, eine helle Allee erinnert an die diffusen Farben und Formen Luc Tuymans, in einem großen schwarzen Bild, dessen dicke Farbstruktur subtil einen Wald andeutet, sahen die Kuratoren den Abgesang auf Malewitschs „Schwarzes Quadrat“. Dabei verweigert sich Carnegie nicht der Oberfläche, im Gegenteil hindert ihr dicker Farbauftrag den Betrachter regelrecht daran, sich in ihre Szenen hineinfallen zu lassen.

Schließlich komplett zurückgesetzt in die Zeit wirkt Jim Lambies Betrag am Ende der Schau. Der 1964 in Glasgow geborene Glamrocker der Kunstszene hat den ganzen Raum in ein popkulturelles Wartezimmer verwandelt. Überall schimmern die Versatzstücke der Popkultur, der Boden ist ein Muster aus Gaffa-Tape, auf dem kitschige Tonvögel hocken. An der Wand pinnt ein Rohrschachmuster der guten, alten Band „The Kinks“, so auch der Titel der Arbeit, und spätestens jetzt fühlt man sich wie in der Empfangshalle von MTV: alt und leer. All die Versatzstücke der Subkultur, mit denen Lambie schon lange arbeitet, Plattencover, Magazinausschnitte, sind heute nur noch ausgehöhlte Zeichen.

Warum wurde Jim Lambie nicht schon viel früher nominiert? Vor nicht allzu langer Zeit beschrieb seine Arbeit tatsächlich eine nicht greifbare, aber höchst unmittelbare Stimmung der Zeit, ähnlich wie bei Wolfgang Tillmans, der 2000 den Turner Prize gewann. Vor einem Jahr hatte die Turner-Schau eine klare politische Tendenz, sogar einen Skandal gab es, weil das Künstlerduo Langlands & Bell seine Arbeit aus rechtlichen Gründen nicht zeigen durfte. Die Auswahl in diesem Jahr wirkt dagegen merkwürdig verspätet und wenig relevant. Da dürfte es für die Verantwortlichen zusätzlich ärgerlich sein, dass zeitgleich die British Art Show 6 durch England tourt und genau jene aktuellen Tendenzen in der Kunstproduktion deutlich besser zu greifen vermag.

Bis 22. Januar, Bekanntgabe des Preisträgers 5. Dezember

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