: Beweg dich!
Theater Das Gorki Theater konfrontiert Elfriede Jelinek mit dem Deutschen Bundestag
Was ist eine Theateraufführung? Zweihundert Menschen in einem Saal, die sich sicher fühlen können miteinander im Schutzraum Theater, egal wie weit ihre Haltungen auseinandergehen. Das sollte selbstverständlich sein, kein Privileg, sondern unangreifbares Recht.
Zweihundert Menschen haben sich am Freitagabend als Masse erfahren und als Einzelne, zuerst geteilt in ein Wir und ein ihr – wir, das Publikum, ihr die Schauspieler, wir, die schon Hiergewesenen, ihr, die Dazugekommenen – in Sebastian Nüblings Inszenierung von „In unserem Namen“ im Berliner Gorki Theater. Bis man sich im Laufe des Abends als eine Gruppe unterschiedlichster Individuen angesprochen fühlt, die alle gleichermaßen gefordert sind, an der Überbrückung der Unterschiede zu arbeiten. „In unserem Namen“ ist appellatives und pädagogisches Theater, spielerisch, das jeden zur Bewegung auffordert, zur Verrückung von Standpunkten.
Das ist zunächst ganz einfach körperlich gemeint: Im vom Stuhlreihen befreiten Zuschauerraum und über eine Treppe erzeugte die Inszenierung räumlich unterschiedliche Situationen – mal konnte man sitzen, mal musste man den Spielenden ausweichen, Platz machen, zusammenrücken, dann durch den Saal wandern, hier und da einzelnen zuhören. Eine symbolische Bewegung, in der der Körper den Gedanken vorausgeht. Der Kopf wird derweil von den Reden aufgefordert, nach mehr Wissen zu verlangen: zum Beispiel über die Geschichte der politischen Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen in den Ländern, aus denen Menschen nach Europa fliehen.
„In unserem Namen“ beginnt vielsprachig: Arabisch, Türkisch, Serbokroatisch, Russisch, Englisch, Deutsch. Die SchauspielerInnen, einzeln im Publikum verteilt, übersetzen sich Passagen aus den „Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek in die vielen Sprachen, die sie ob der eigenen Migrationsgeschichte gelernt haben. In Jelineks Text über die verzweifelte Situation vieler Geflüchteter scheinen die Strategien ihrer Zurückweisung in Europa in jedem Satz durch. Es ist eine Sprache unter Druck, des ständigen Zwangs zur Legitimierung des eigenen Seins, des Hierseins. Immer wieder in Frage gestellt zu sein, bis man kaum mehr „Ich“ sagen kann; was das bedeutetet, transportiert im Gorki-Theater auch die Unruhe der Spielenden, ihr Wandern durch den Raum, ihr Rennen, teils die Wände hoch, mitten zwischen den Zuschauern. Kein Ankommen, kein zur Ruhe kommen.
Texte, die während der Proben entstanden und sich mit der Gegenwart auseinandersetzen, fließen in Nüblings Inszenierung ein. Eine lange Suada von Thomas Wodianka, der nicht zum ersten Mal den Wutbürger verkörpert, setzt an der Angst vor der „Überfremdung“ an und nimmt sie als Haltung mit bei einem furiosen, kabarettistische Ritt in die deutsche Geschichte hinein, wobei er die Gastarbeiter aus ihr herauswirft, die Hugenotten samt ihrem Arbeitsethos und der Seidenweberei streicht, die Römer, ihre Verwaltungsstrukturen und das Dezimalsystem zurückschickt. Er ereifert sich über das vor 4.000 Jahren eingewanderte Glockenbechervolk: „Marschieren hierher von der iberischen Halbinsel und erfinden Zeugs, die Scheißglockenbechler, mit ihren Humpen. Was ist falsch daran, das Wasser in der Hand zu sammeln und es aufzulecken wie eine Katze.“ Am Ende hat er die ganze Zivilisation und Evolution ausradiert zugunsten – der Leere.
Politische Handlungsspielräume
Aber die Inszenierung verharrt nicht bei der Parodie. Sie horcht in einer Passage, die auf einer Anhörung im Deutschen Bundestag im März 2015 beruht, als Experten über Änderungen im Aufenthaltsgesetz befragt worden – Flüchtlinge oder deren Vertreter waren nicht dabei – in die Handlungsspielräume von Politik, Verwaltung und Recht hinein, in ihre weit vom Subjekt entfernten Sprache. Dimitri Schad geht in engen Kreisen, während er einen Richter zitiert, der von der Unmöglichkeit spricht, die Bestimmungen zur Abschiebehaft anzuwenden, ohne Fehler zu machen. Die Vertreter der Bürokratie bezweifeln das eigene Fundament. Und beschließen doch.
Die Premiere lief im Maxim-Gorki-Theater in Berlin, während in Paris Menschen, die glaubten, auf einem Konzert sich miteinander sicher fühlen zu können, wahllos ermordet wurden. Ein Angriff von Terroristen, die oft auch denen, die nach Europa fliehen, das Leben in ihrer Heimat unmöglich gemacht haben. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Schluss der Inszenierung eine neue Bedeutung. Einzelne Schauspieler fassen Aischylos Drama „Die Schutzflehenden“ zusammen, das Jelinek als Vorlage nahm. Dort bitten aus Ägypten geflohene Frauen um Aufnahme in Argos. Sie wissen sonst keinen Ausweg, als sich umzubringen. Pelasgos, König von Argos gewährt ihnen schließlich nach Verhandlungen mit den Bürgern seiner Stadt diesen Schutz trotz des Risikos, dass Argos damit in einen Krieg mit Ägypten verwickelt wird, der bisher nicht ihrer war. Katrin Bettina Müller
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