Wenn unsere Sprache ehrlicher ist als wir
: Wertlosstoff und Unnutzfahrzeuge

Wir retten die Welt

Von

Bernhard

Pötter

Es ging um Leben und Tod. Als letzte Woche der Bundestag über die Sterbehilfe abstimmte, nannten das manche eine „Sternstunde des Parlaments“. Weil unsere Abgeordneten sich mal gegenseitig zuhörten. Weil sie vorher darüber intensiv nachgedacht hatten, wie sie abstimmen sollten. Und vor allem: Weil sie dabei nur ihrem Gewissen verpflichtet waren.

Klingt gut. Ist es aber nicht. Denn wenn diese „Gewissensentscheidung“ eine Entscheidung des Gewissens war, was sind dann die anderen Abstimmungen im Hohen Haus? Unwissensentscheidungen? Schlechtesgewissensentscheidungen?

Unsere Sprache ist ehrlicher als wir. Vor allem im Konsumleben sind solche unfreiwilligen Offenbarungen häufig. Gleich neben der Tankstelle an der Ecke bei uns ist ein Autohändler. Die üblichen albernen Wimpelgirlanden über funkelnden Blechen. Links stehen die Transporter und Kastenwagen. Das sind die Nutzfahrzeuge. Rechts werden die Familienkutschen, Sportflitzer und SUV-Panzer angeboten. Das wären dann in dieser Logik die, äähm . . . genau: Unnützfahrzeuge. Und der Outdoor-Katalog bietet mir bergeweise Jacken, Stiefel, Hosen, Pullis und dann auf nur zwei Seiten: Funktionskleidung. Da kann ich jetzt wählen: Haben all die anderen schicken Klamotten keine Funktion? Oder funktionieren sie nicht?

Inzwischen kann ich keinen Einkaufswagen mehr durch den Supermarkt schieben, ohne mich über die Freudschen Verschreiber der Lebensmittelindustrie zu erheitern. Mein Edeka bietet „Aroma-Tomaten“ an. Hat da der Beauftragte für Etikettenschwindel mal darüber nachgedacht, welch vernichtendes Urteil das für die anderen wässrig-roten Tomatendarsteller ist, die gleich daneben liegen? Weckt die Werbung „frisch und lecker“ wirklich meinen Appetit oder eher mein Misstrauen auf die anderen Spezialitäten, denen diese Eigenschaft nicht zugestanden wird? Wir fordern ja immer, Werbung solle die Menschen nicht in die Irre führen. Aber wollen wir wirklich über unseren Schrumpelpaprika das Schild „alt und abstoßend“ lesen?

Es muss etwas ganz schön schieflaufen, wenn Selbstverständliches zum Alleinstellungsmerkmal hochgejubelt wird. Eine Bank wirbt damit, sie stehe „an meiner Seite“. Ja, wo denn sonst, wenn ich ihr Kunde bin – im Weg? „Frische Pilze in schmackhafter Soße“ bietet mir dieses indogermanische Restaurant an, wo es immer so laut ist. „Haben Sie das auch mit schimmeligen Pilzen in ekelhafter Soße?“, wollte ich fragen, griff aber lieber zu einem Glas Trinkwasser – uh, Glück gehabt, dass es trinkbar war. Wenn Adjektive so zäh an kritische Begriffe geklebt werden, dann ist was faul: Wenn so viel vom „gesunden Essen“, „unfallfreien Fahren“ oder „ökologischen Wirtschaften“ schwadroniert wird, versuchen wir vor allem, unser schlechtes Gewissen zu beruhigen. Wenn man den ollen Plastikbecher mit großem Aufwand als „Wertstoff“ bewerben muss, sagt das uns eigentlich: Es ist nutzloser Müll.

Aufklärung kommt wie so häufig von unerwarteter Seite: Ausgerechnet die Klimakiller, Lärmschleudern und Tarifdrücker vom Albtraum Fliegen verschleiern nichts: Ihre Airlines starten und landen auf einem Fluchhafen.