Lateinamerika

Vor Kurzem noch schwärmten Linke für das hemisphärische
Projekt Lateinamerikas. Was bleibt davon nach Macris Sieg?

Der Erfolg des Du-Botschafters

Argentinien Mauricio Macri, Bürgermeister von Buenos Aires, wird Präsident – und beendet die Kirchner-Ära. Mit seiner Mitte-rechts Allianz steht er für freie Marktwirtschaft und Annäherung an den IWF

Ergriffen vom eigenen Erfolg: Unternehmer und Unternehmersohn Mauricio Macri feiert mit Frau und Tochter seinen Wahlsieg Foto: Ivan Alvarado/ reuters

Aus Buenos Aires Jürgen Vogt

„Dies ist ein historischer Tag, ein Epochenwechsel, der uns eine Zukunft des Wachstums und Fortschritts geben wird“, verkündete Argentiniens zukünftiger Präsident Mauricio Macri. Am Sonntag setzte sich der Kandidat des Mitte-rechts-Bündnisses Cambiemos (“Lasst uns verändern“) in der Stichwahl mit 51,4 der Stimmen gegen Daniel Scioli von der regierenden Frente para la Victoria (“Front für den Sieg“) durch. Scioli kam auf 48,6 der Stimmen und räumte noch am Wahl­abend seine Niederlage ein.

Der 56-jährige Bürgermeister von Buenos Aires tritt nun am 10. Dezember die Nachfolge von Präsidentin Cristina Kirchner an. Damit endet zugleich die zwölfjährige Ära der links-progressiven Regierungen.

Mauricio Macri ist es gelungen, eine neue Mitte-rechts-Allianz aufzubauen, die ihr Stimmenpotenzzial vor allem in der Ober- und Mittelschicht hat, aber heute auch Teile der unteren Mittelschicht und Unterschicht anzieht. In der Hauptstadt Buenos Aires ist Macris PRO – Propuesta Republicana (“Republikanischer Vorschlag“) schon länger die stärkste politische Kraft.

Formiert hatte sich die Partei ab 2001 aus versprengten Resten der traditionell-konservativen Strömungen des Peronismus und der bürgerlichen UCR (“Radikale Bürgerunion“) sowie Teilen der Unternehmerverbände. Ihre politischen Positionen stammen aus der Denkfabrik Creer y Crecer (“Glauben und wachsen“). Sie liefert unter den Vorzeichen der freien Marktwirtschaft die Ideen und Strategien für eine moderne Rechtspartei. Macri etabliert sich zunehmend als Führungsfigur der zersplitterten rechten Opposition.

Landesweit ist sie jedoch nach wie vor nur wenig verankert und verfügt auch nicht über einen so mächtigen Parteiapparat wie die Peronisten. Um dieses Manko auszugleichen, gingen Pro und UCR die Allianz Cambiemos ein. Der erste große Erfolg dieses Bündnisses war der überraschende Gewinn der Gouverneurswahl am 25. Oktober in der Provinz Buenos Aires, einer Hochburg des Peronismus, der nach 1987 erstmals den Gouverneursposten verliert.

Für viele verkörpert Macri jene neue Rechte, die die demokratischen Spielregeln des Parlamentarismus anerkennt und sich, anders als früher, nicht mithilfe von Militärs an die Macht putscht. Hinzu kommt, dass keiner die Begriffe des Neoliberalismus wie Privatisierung, Deregulierung, Weltmarktöffnung oder Anpassung der Staatsausgaben in den Mund nimmt, dagegen die Rolle des Staates mit seiner Schutzfunktion für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen betont.

Daran hatte sich Macri im Wahlkampf strikt gehalten. Er äußerte sich lediglich zu Themen, wenn es unbedingt sein musste: Abwertung des Peso, Inflationsbekämpfung, Investitionen und Kredite aus dem Ausland, Einigung mit den sogenannten Geierfonds, Annäherung an den IWF. Beide Kandidaten hielten es jedoch mit dem neoliberalen Vorbild Carlos Menem. „Hätte ich vor Amtsantritt gesagt, was ich vorhabe, hätte mich niemand gewählt“, hatte der Präsident der 1990er Jahre einmal gesagt.

Vorerst kann Macri nur an seiner Amtszeit als Bürgermeister der Hauptstadt gemessen werden, mit der der Großteil der Bevölkerung zufrieden ist. Die auffälligsten Veränderungen sind die neu eingeführten Busspuren, die die Fahrtzeit der täglichen Pendler zum Teil erheblich verkürzt haben, der konsequente Ausbau des Fahrradnetzes und das Angebot der kostenlosen Nutzung von Fahrrädern in der Innenstadt sowie die erfolgreiche Teilsanierung der U-Bahn. Die weniger auffallende Kehrseite ist die zunehmende Verschuldung der Stadt, die in den Jahren 2007 bis 2013 um 130 Prozent gestiegen ist.

„Hätte ich vor Amtsantritt gesagt, was ich vorhabe, hätte mich keiner gewählt“

Carlos Menem, ExPräsident, in den 1990er Jahren

Den vielleicht größten Unterschied zu seinem Kontrahenten macht Macris außenpolitische Ausrichtung aus. Im Wahlkampf nannte er die chavistische Regierung in Venezuela unverhohlen eine Diktatur, die innerhalb des Mercosur isoliert werden sollte. Möglich ist eher, dass sich Argentinien noch weiter als bisher schon aus der ohnehin nicht vorankommenden Integration des Mercosur zurückzieht und sich der konservativer ausgerichteten Pazifik-Allianz von Mexiko, Peru, Kolumbien und Chile annähert.

Macris Ansprache ist direkt, das Du steht ganz vorne: „Du, du schaffst es, wenn du es willst,“ ist die simple Botschaft. Dass dieser Spruch greift, ist auch dem Neoliberalismus der 1990er Jahre geschuldet, der in Argentinien einen Individualismus verankert hat, der bis heute in Ober- und Mittelschicht stark ausgeprägt ist und den der Kirchnerismus paradoxerweise durch seine konsumorientierte Politik verstärkt hat, indem er den Konsumenten der unteren Schichten ebenjenes Gefühl gegeben hat.

Der reiche Unternehmersohn Mauricio Macri entspricht jedoch auf den ersten Blick nicht dem Typ des Selfmademan. Vater Franco Macri war 1949 aus Italien nach Argentinien eingewandert und hatte schon die erste Firma gegründet, als er Alicia Blanco Villegas heiratete, mit der er vier Kinder hatte. Mauricio wurde am 8. Februar 1959 geboren. Vater Macri baute die Firmengruppe aus.

Sohn Mauricio besuchte eine katholische Privatschule, seine Ausbildung schloss er 1982 mit dem Ingenieurstitel der Universidad Católica Argentina ab, in der Zeit der Militärdiktatur, in der er sich selbst als unpolitisch beschreibt. Zum Ende der Diktatur 1983 war die Macri-Gruppe auf 47 Firmen angewachsen, 1993 waren es 116, die vor allem im Industrie- und Dienstleistungsbereich tätig sind. Seit 1995 ist er Präsident des populären Fußballclubs Boca Juniors.