„Ich mache mich von Emotionen abhängig“

Skispringen Severin Freund über die relative Bedeutung der Vierschanzentournee, Schlafen im Zelt und Sprünge über 200 Meter

Die Schönheit des Skisprungs: Severin Freund über Innsbruck Foto: Ebenbichler/reuters

Interview Klaus-Eckhard Jost

taz: Herr Freund, in der vergangenen Saison haben Sie viele Trophäen gewonnen. Wie sieht es eigentlich bei Ihnen zu Hause aus?

Severin Freund: Für die Medaillen habe ich von meinem Onkel, einem Künstler, eine Holzskulptur, die ist ein wenig abstrakt einer Schanze nachempfunden. Da sind die ganzen Medaillen drauf. Doch da wird’s langsam eng. Und die Weltcup-Kugel steht genau auf der anderen Seite im Wohnzimmer.

Was ist Ihnen vom letzten Winter noch in Erinnerung?

Sehr viel. Und diese schönen Erlebnisse muss man mitnehmen, die geben einem einen zusätzlichen Push. Für solche Erlebnisse und solche Momente betreibt man den Sport. Das ist das, was einen antreibt.

Steigt man danach hochmotiviert wieder ins Training ein?

Ganz im Gegenteil. So was braucht auch ein bisschen Zeit, bis man dann auch für sich komplett verstanden hat, was man erreicht und was man geschafft hat. Und was es dann auch bedeutet. Ich wollte nicht einfach von Termin zu Termin zu hetzen, um im Sommer festzustellen, dass ich eine Pause bräuchte.

In diesem Winter fehlt ein Highlight wie Olympia.

Wir haben eine relativ interessante Saison vor uns. Nach der Tournee und der Skiflug-WM sind Mitte Januar die Groß­er­eignisse vorbei. Das heißt: Mehr denn je früh in der Saison in Topform zu sein. Das ist nicht unbedingt mein Steckenpferd.

Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Wir haben den Trainingsplan ein wenig umgebaut. Ein Ziel war es, dass ich körperlich so fit bin, dass die springerische Form zu mir kommen kann. Das geht nicht mit einem Fingerschnippen. Da muss vorher einiges stimmen, damit man in den Flow kommt. Meine Ergebnisse im Sommer waren, im Gegensatz zu den Jahren davor, erheblich besser.

Und das verheißt eine gute Vierschanzentournee?

Nein, das ist keine Garantie. Ich muss schauen, wie ich in den Winter reinkomme. Wie jedes Jahr wird’s in Klingenthal, Kuusamo und Lillehammer spannend zu sehen, wo man steht.

Wächst mit dem Alter der Druck, dass man es endlich schafft?

Jedes einzelne Jahr macht einen irgendwie reifer. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass man nicht alles kontrollieren kann. Werner Schuster (der deutsche Cheftrainer, d. Red.) hat mal gesagt: „Wenn jemand in Form ist, kann er auch im Zelt schlafen und die Tournee gewinnen.“

Wie viel Glück ist nötig?

Die Tournee ist etwas ganz Spezielles. Man kann sie nicht mit einem guten Sprung gewinnen, aber mit einem schlechten verlieren. Wenn man die Form hat und die Zeit reif ist, dann wird es passieren. Aber sich einen wahnsinnig großen Kopf machen, nur weil es die letzten Jahre nicht funktioniert hat, würde mich nicht wahnsinnig weiterbringen. Klar: Ich würde wahnsinnig gerne die Tournee gewinnen und ich werde alles dafür tun. Aber ich werde mein Glück nicht davon abhängig machen.

Wäre Ihre Karriere ohne einen Toursieg unvollständig?

Nein, auf keinen Fall. Ich mache das nicht von Titeln abhängig.

Sondern?

Severin Freund

Foto: dpa

Nach dem Olympiasieg 2014 (mit der Mannschaft) gewann Freund u. a. den Gesamtweltcup 2014/2015. Persönliche Bestweite: 245 Meter.

Von Emotionen. Ein Wettkampf, in dem ich Zweiter, Dritter, Vierter, Fünfter oder was weiß ich werde, kann genauso erfüllend sein wie ein Wettkampf, den ich gewinne. Da gibt’s andere Dinge. Etwa mein erster richtiger Skiflug, als ich in Oberstdorf zum ersten Mal auf 218 Meter, also über die 200-Meter-Marke, geflogen bin. Oder die 245 Meter in Vikersund. Das sind die Momente, die machen deutlich mehr mit dir wie ein Sieg.

Kurz nach der Tournee findet in Kulm die Skiflug-WM statt.

Ich habe beim Skifliegen meinen ersten Einzeltitel geholt. Am Kulm muss ich diesen verteidigen. Das finde ich sehr, sehr schön. Denn das bedeutet, dass wir mit fünf Leuten im Einzel starten können.

Im vergangenen Winter haben Sie mit 237,5 Metern einen Rekord aufgestellt.

Es kann für mich ein sehr, sehr schöner Wettkampf werden.

Und der Gesamt-Weltcup?

Ich würde ihn gerne auch noch ein zweites Mal gewinnen.